Adventmail 2010/15 (Namenstage)

„Ich war zu Hause unter meiner kalten Brause. Da kam Herr Wichsmann unter meinen Wasserhahn. Ach, war das toll…“ Das sang 1978 die damals noch blutjunge, rotzfreche, eben erst aus der DDR rausgeworfene Nina Hagen im Song „Heiß“ auf ihrer viel beachteten ersten LP. Laut ihrer heuer erschienenen Autobiographie „Bekenntnisse“ hatte die in einem atheistischen Umfeld aufgewachsene Stieftochter des Liedermachers Wolf Biermann damals ihre erste Begegnung mit Jesus schon hinter sich. Nina hatte unter Drogeneinfluss ein Nahtod-Erlebnis und erkannte dabei, dass Jesus – so schreibt sie jetzt – „mein Herr, mein Retter und bester Freund seit meinem 17. Lebensjahr“ sei.
Bis zu ihrer Taufe im Jahr 2009 folgten noch viele Umwege und Sackgassen. Exzesse in der Londoner Punkszene der 1970er, Exzentrik bei jedem öffentlichen Auftritt, Sexhibitionismus im ORF-„Club 2“, Experimente mit dem Hinduismus (ihre schauspielende Tochter heißt Cosma Shiva) – von dem sich Nina enttäuscht wieder abwandte.
Jesus sei ihr immer nah geblieben, beteuert die teilweise nervend schrille Sängerin heute. Viele Machtstrukturen der irdischen Kirche seien ihr lange fremd geblieben, doch schließlich habe sie mit der Taufe „eine lange Liebesgeschichte besiegelt“.
Als ausgewiesene Christin wurde Nina Hagen auch „Kathpress“-kompatibel. Ein dort tätiger Kulturredakteur mit wachem Blick für Musik von Punk bis Klassik erwähnte ihre jüngste, auf Gospel fokussierte CD „Personal Jesus“ und zitierte sie mit der Aussage, die gegenwärtige Missbrauchskrise werde einen Anstoß zur Erneuerung von Kirche und Gesellschaft geben. Es sei positiv, dass lange verdrängte Verfehlungen ans Tageslicht kommen, denn „die Wahrheit wird uns frei machen“. Die katholische Kirche werde „hoffentlich eine richtig gute Reform auf den Weg bringen“. Ach, leg dafür doch ein gutes Wort bei deinem besten Freund ein, Schwester Nina!

Adventmail 2010/07 (Namenstage)

Ambrosius hätte mir als Zweitname für einen meiner Söhne gut gefallen. Es blieb aber bei Erasmus, Jeremias und Franziskus. Ambros als Zweitname führt auch Wolfgang, der 19-jährig mit seinem Hit „Da Hofa“ den Startschuss für den Austropop gab.
Ich war damals 12 und alt genug, unter dem Eindruck von Peter Alexander, Roy Black oder Rex Gildo Deutschsprachiges in der Popmusik für grundsätzlich minderwertig zu halten. „Da Hofa“ fand ich ganz ok, ebenso später Danzers „Nackerten im Hawelka“ oder Falcos „Der Kommissar“. Aber eine Platte von einem Österreicher kaufen? Nie und nimmer.
Jetzt im Rückblick finde ich die alten Sachen von Ambros richtig gut. „A Mensch möcht i bleibn“, „I drah zua“, „Es lebe der Zentralfriedhof“, „Die Blume aus dem Gemeindebau“ und auch die Dylan-Coverversionen auf der LP „Wie im Schlaf“ sind echte Songperlen und auch nach Jahren immer wieder gut zu hören.
Wie einigen Popstars fällt es auch Ambros nicht leicht, in Würde zu altern bzw. der Rolle als Verwalter der eigenen Vergangenheit zu entgehen. Das liegt weniger an privaten Brüchen wie Scheidung und Alkoholismus als am Qualitätsverlust der Musik. Wer seine Werke „Verwahrlost aber frei“ titelt oder Hans Moser nachsingt, hat mit Musikkonsumenten diesseits der 50 nicht mehr viel am Hut.

Adventmail 2010/05 (Namenstage)

Heute gedenkt die Kirche des heiligen Geralds, eines Bischofs im fernen Braga in Portugal. Ich jedoch gedenke jenes Geralds, der mein Schulkollege in Kapfenberg war und dazu beitrug, dass ich heute kein Instrument spiele und kein Popstar wurde.
Ich war vor vielen Jahren Pflegekind bei Frau Dietz in Bruck/Mur. Deren Enkel Sigi spielte die Stromgitarre in einer Band namens „Blackbirds“, die regelmäßig in der geräumigen Wohnung der Frau Dietz „A Whiter Shade of Pale“, „Massachusetts“ u. a. Hits dieser Zeit probte. Ich Vorschulkind hörte wohl so andächtig dabei zu, dass Sigi mir Jahre später bei einem Besuch bei der Ex-Pflegemutter seine alte Gitarre schenkte – mit der Auflage, fleißig zu üben und den Ruhm der Beatmusik in Österreich zu mehren.
Nun komme ich aus einer Familie, in der zwar gerne gesungen wurde, es jedoch keine Tradition beim und damit keine Ermunterung zum Erlernen eines Instruments gab. Trotz jährlich erneuerter Vorsätze blieb Sigis funktionstüchtige Gitarre so lange stumm, bis mir besagter Gerald Reiter anbot, sie mir abzukaufen, um in der Klassenband zu spielen.
Geblendet vom Glanz des schnellen Geldes nahm ich seine Silberlinge und verriet meine hoffnungsvolle Karriere als Falco von Kapfenberg, die sicher kurz danach eingesetzt hätte. Somit friste ich nunmehr ein Schattendasein als Gelegenheitssänger bei Geburtstagen meiner Geschwister, bei denen ich mit einem stolzen und einem neidischen Auge auf die Zupf- und Tastenkünste meiner drei Söhne blicke.
Was aus Sigis Gitarre und aus Gerald wurde, lässt sich nicht mehr eruieren. Angesichts des Naserümpfens der damaligen Klassenbandmitglieder über Geralds Musikalität kann ich jedoch ausschließen, dass er mit dem im Internet vorfindbaren Namensvetter, dem Sänger und Schauspieler Gerald R., irgendetwas zu tun hat.

Adventmail 2009/06 (Was geschah am … Dezember?)

Am 6. Dezember …
… soll Meredith Hunters gedacht werden, der 1969 an diesem Tag beim Besuch des Altamont Rock Festivals direkt vor der Bühne erstochen wurde, wo die Rolling Stones gerade „Under My Thumb“ spielten. Meredith war 18, und mit ihm starb – so hieß es später – die Unschuld der Hippie-Ära, die nur ein halbes Jahr vorher, im „Summer of love“, in Bethel/NY, dem Schauplatz von „Woodstock“, ihren Höhepunkt erlebt hatte.
Oscar-Regisseur Ang Lee bezieht sich in der Schluss-Szene seines Films „Taking Woodstock“ genau darauf: Organisator Michael Lang kündigt am Ende des Festivals, das trotz chaotischer Zustände in friedlichem Drogenrausch und freier Liebe abgelaufen war, ein nächstes Projekt mit den Stones in Kalifornien an, bevor er über die müllbedeckten Hügel von Woodstock davonreitet.
In Altamont ist dann von Idylle keine Spur mehr: Meredith Hunter wurde vor den Augen Mick Jaggers von einem Mitglied der als Ordner engagierten Hells Angels mit fünf Messerstichen und Tritten verletzt. Er starb auf dem Weg ins Krankenhaus. Jagger rief nach einem Arzt, dann setzten die Stones das Konzert fort.
Zuvor hatte Hunter unter Drogeneinfluss und frustriert vom vergeblichen Versuch, die Bühne zu erklimmen, eine Schusswaffe gezogen. Das Gericht sprach den Hells Angel frei, seine Tat wurde als Notwehr gewertet. Gefilmt wurde das von Kamerateams für den Dokumentarfilm „Gimme Shelter“.

Adventmail 2009/01 (Was geschah am … Dezember?)

Am 1. Dezember …
… 1955 ereignete sich ein schönes Beispiel für ein kleines Ereignis mit großer Wirkung. Die „Neville Brothers“ aus New Orleans schrieben darüber für ihr großartiges Album „Yellow Moon“ (1989) einen Song, den ich immer wieder gerne höre. Er beginnt so:
„Sister Rosa Parks was tired one day after a hard day on her job.
When all she wanted was a well deserved rest, not a scene from an angry mob.
A bus driver said, „Lady, you got to get up, cuz a white person wants that seat.“
But Miss Rosa said, „No, not no more. I’m gonna sit here and rest my feet.“

Die damals 42-jährige Rosa Parks hatte also eine Menge Zivilcourage. Ihre Weigerung, im Bus einem Weißen ihren Sitzplatz zu überlassen, trug der damals in der schwarzen Bürgerrechtsbewegung aktiven Sekretärin und Schneiderin die Verhaftung und eine Geldbuße wegen Störung der öffentlichen Ordnung ein. Die „Ordnung“ in Montgomery im US-Staat Alabama sah nämlich vor, dass es in öffentlichen Bussen zwei Bereiche gab: eine für white people in den ersten vier Sitzreihen, dahinter jene für coloured people. Rosa setzte sich in den mittleren Abschnitt, den schwarze Passagiere benutzen durften; allerdings war eine komplette Reihe zu räumen, sobald auch nur ein weißer Fahrgast dort sitzen wollte. No, not no more, dachte sich Rosa Parks und regte Martin Luther King damit zum 382-tägigen Montgomery Bus Boycott an. Der wiederum wesentlich zur Aufhebung der Rassentrennung in den USA beitrug.
Den Gerechten schenkt Gott ein langes Leben. Rosa Parks starb am 24. Oktober 2005 im Alter von 92 Jahren. Der US-Senat beschloss daraufhin Rosas öffentliche Aufbahrung im Kapitol – sie war die erste Frau in den USA, welcher diese besondere Ehrung zuteil wurde.
Nochmals die Neville Brothers im Refrain: „Thank you Miss Rosa. You were the spark that startet our freedom movement. Thank you sister Rosa Parks.“

Adventmail 2007/18 (Countdown 24-1)

18. Dezember – 7

    „Die 7 ist alles“ – Die Toten Hosen, 1995

    Die 1 steht für den Anfang, für Gott und das Universum.
    Die 2 bedeutet Zweifel, Gegensatz und Widerspruch.
    Die 3 steht für das Gute und für die Dreieinigkeit.
    4 ist die Ordnung, Himmelsrichtung und Jahreszeit.

    Die 5 steht für den Menschen, die 6 für Vollkommenheit.
    8 ist die Glückszahl, 9 die Potenz aus der heiligen 3.
    Doch die 7 ist für mich alles und nichts kommt an sie heran.
    Ja, die 7 ist einfach alles, es ist die Zauber- und Märchenzahl.

    7 Schöpfungstage brauchte Gott um die Welt zu bauen.
    7 Tage hat die Woche, 7 mal geht die Sonne im Osten für uns auf.
    Über 7 Brücken musst du gehen, 7 dunkle Jahre überstehen,
    7 mal, 7 mal, das ist unsere Zahl, die über allem steht.

    7 Priester rannten 7 mal um die ganze Stadt.
    Und erst nachdem er 7 Geißlein fraß, war der Wolf so richtig satt.
    7 Raben, 7 Schwaben und das verflixte 7. Jahr,
    Jesus hängt schon lange am Kreuz, als er noch 7 Worte sprach.

    Es ist nur ’ne Zahl, doch sie lässt mich nicht mehr los.
    Nur eine Zahl, ich kann nichts dagegen tun.

    7 Meere gibt es auf der Welt, 7 Wunder wurden bisher gezählt
    und man weiß, dass es 7 Zwerge hinter 7 Bergen gibt.
    Man soll 7 mal 70 Mal verteilen*, 7 Namen hat der heilige Geist,
    für den siebten Himmel gibt einen Likör, der nach 7 Kräutern heißt.

    7 mageren Jahren gingen 7 fette voraus,
    7 drückt die Unendlichkeit und die Sonnen der Weisheit aus.

    Es ist nur ’ne Zahl, doch sie läßt mich nicht mehr los.
    Nur eine Zahl, ich kann nichts dagegen tun.

    Die 7 Posaunen von Jericho klingen immer noch in unseren Ohren.
    7 Sachen mußt du packen, wenn du die Stadt für immer verlassen sollst.
    Der Mensch lebt 10 mal 7 Jahre lang, hat uns die Bibel mal gesagt.
    Bei den 4 Winden und der Dreifaltigkeit wird dir sofort wieder klar:

    Es ist nur ’ne Zahl, doch sie läßt mich nicht mehr los.
    Nur eine Zahl, ich kann nichts dagegen tun.

    *) hier ist wohl „verzeihen“ gemeint – aber was weiß die heutige Jugend denn schon von der Bibel?!

    Adventmail 2007/06 (Countdown 24-1)

    6. Dezember – 19
    Es gibt einige bekannte Songs mit der Neunzehn im Titel – meist bezogen auf das entsprechende Lebensalter junger Erwachsener. Einer der erfolgreichsten: Paul Hardcastle’s „Nineteen„, der 1985 zum Nummer-1-Hit wurde. Der Text bezieht sich auf das Durchschnittsalter der getöteten amerikanischen Soldaten im Vietnamkrieg. (Auszug aus der 1. Strophe: „In World War II the average age of the combat soldier was 26… in Vietnam he was 19”)
    Hardcastle ist ein britischer Musiker, Produzent und Autodidakt. Die Schwerpunkte seines Schaffens liegen in der elektronischen Musik.
    Erste Erfolge feierte er 1981-82 und 1982-1983 mit den Bands „Direct Drive“ und „First Light“. Zuspruch von den Kritikern erhielt Hardcastle für seine ersten Veröffentlichungen als Solokünstler Ende 1983, darunter besonders die Single „Rainforest“ (1984).
    Den kommerziellen Durchbruch schaffte er im Mai 1985, eben mit der stilistisch wegweisenden Single „19“. Auf ihr mixte er Dance-Rhythmen mit Samples aus einer US-Fernsehreportage „Vietnam Requiem“ (1982) über Soldaten im Vietnamkrieg, die auch Jahre nach Kriegsende noch an posttraumatischen Störungen litten. Der Song belegte zunächst in Großbritannien Platz 1 der Singlecharts, mit einigen Wochen Verzögerung auch in Deutschland. Es wurden sogar anderssprachige Versionen von „19“ produziert, wobei die Samples des Originals sinngemäß übersetzt und von französischen, japanischen und deutschen Nachrichtensprechern neu eingesprochen wurden.
    Falls jemand Paul Hardcastle (*10. Dezember 1957 in London) zum baldigen 50er gratulieren möchte: www.paulhardcastle.com

      Adventmails 2006/23 (Listen aller Art)

      Heute wieder zwei AbsenderInnen, meine Lieben,
      denn 26 Listen sind’s insgesamt geworden….
      lg R

      • * + * + *

      In Zeiten wie diesen, wenn die allgegenwärtige Beschallung mit MOR-Pop-Versionen von immer den gleichen zwei Dutzend Weihnachtsstandards zur täglichen Belastung wird, kann es nicht schaden, seinen MP3-Player hervorzuholen und mit guter Musik zu füllen. Am besten mit Musik, die ein Kontrastprogramm darstellt zur öden Glitzerwelt der gegenwärtigen Charts, zur ideenlosen Mainstream-Maschinerie, aber auch zum banalen Dilettantentum der meisten Indie-Bands. Musik aus einer Zeit, in der Authentizität und schillernde Perfektion eben noch keine Gegensätze darstellten. Die Rede ist von Soulmusik, und zwar vom Soul der 60er und frühen 70er Jahre. Den großartigsten Interpreten dieser Musik ist diese Liste gewidmet, den Top 5 der besten SoulsängerInnen:

      Marvin Gaye
      Heute vor allem wegen seinem bahnbrechenden Album „What’s Going On“ von 1971 ein Kritikerliebling, begann Marvin Gay (der seinem Namen später nach dem Vorbild von Sam Cooke ein E hinzufügte) schon in den frühen 60ern beim wichtigsten Soul-Label der Welt, Motown, zu singen. Nach einer ignorierbaren kurzen Phase als schmalziger Pop-Crooner („Mr. Sandman“ u.ä.) hatte er 1962-1965 kleine Hits mit coolen Tanznummern, z.B. „How Sweet It Is“ und „Pride and Joy“. Dann folgten einige Duette, z.B. „It Takes Two“ oder der wohl beliebteste Karaoke-Song aller Zeiten, „Ain’t No Mountain High Enough“ mit Tammi Terrell. 1967 machte er schließlich „I Heard It Through the Grapevine”, einen meiner absoluten Lieblingssongs. Gaye brauchte zwei Monate, um sein Gesangstake richtig hinzubekommen, das Resultat ist eine absolut brillante Performance. Auch „Let’s Get It On“ (1973) ist vielleicht noch erwähnenswert: Es war eines der Lieder, durch die ich den Soul für mich entdeckt habe – Rob, die Hauptfigur von Nick Hornbys „High Fidelity“, hielt es für die beste Single aller Zeiten, also musste ich da unbedingt auch mal reinhören.

      Aretha Franklin
      Zu dieser Frau muss eigentlich gar nicht mehr viel gesagt werden. Allein 1967, im ersten Jahr bei Atlantic Records (das andere große Soul-Label) hat sie fünf perfekte Singles aufgenommen: „Respect“, „I Never Loved a Man“, „Do Right Woman“, „Natural Woman“, „Chain of Fools“ (besonders die ersten drei liebe ich inständig). Dann nahm die Dichte leider etwas ab, aber auch „Think“und „The House That Jack Built“, u.a., gehören noch zu dem besten, was der Soul zu bieten hat. In den 70ern bekam sie leider nur mehr wenig gutes Material zu singen, aber Arethas Stimme veredelt auch fade Songs. Niemand singt mit mehr Soul.

      Al Green
      Das, was Al Greens Musik ausmacht, ist der Sound. Eine präzise Rhythmusgruppe mit stark in den Vordergrund gemischtem Schlagzeug, von Gitarre und Orgel akzentuiert, wundervolle Bläser- und Streicherarrangements und darüber Greens eigene, ausdrucksstarke und unverwechselbare Stimme; alles zusammen äußerst stylish und funky. „Tired of Being Alone“ (1971) finde ich am besten: Green spielt den einsamen Mann, der spätnachts von einer für ihn unerreichbaren Frau fantasiert, er improvisiert, stottert, quetscht im Falsett Liebesbeteuerungen hervor. Genial ist auch „Belle“ (1977), die letzte Single, bevor er sich seiner Tätigkeit als Priester widmete: „Belle, it’s you I want, but it’s Him that I need.“ Ich halte nicht viel von religiöser Selbstentsagung, aber das hier geht unter die Haut.

      Sam Cooke
      Sam ist ein Kapitel für sich. Ich könnte seitenlang ausführen, welch gewaltigen Einfluss er auf die afroamerikanische Musik der 60er hatte, doch das ist nicht das Wesentliche. Seine Arrangements, die heute altmodisch und kitschig wirken und nichts mit der Funkiness der Motown- und Stax-Hitfabriken gemein haben, sind auch nicht das Wesentliche. Das, was mich an Sam Cooke so fasziniert, ist sein natürlicher Charme, sind seine einfachen, schönen Songs und seine wunderbare Stimme. Es gibt eine ganze Menge Material aus den späten 50ern und frühen 60ern, wo diese Qualitäten eingehend zu bewundern sind, Songs wie „Wonderful World“, „Chain Gang“ oder „Bring It On Home To Me“. Auch seine Gospelaufnahmen vor 1957 sollten nicht unerwähnt bleiben, wo seine Performances etwas rauher und ungeschliffener sind. Aber sein wahres Meisterwerk schuf er erst kurz vor seinem frühzeitigen Tod, 1964, mit „A Change Is Gonna Come“. Dieser Song ist nicht nur von makelloser Schönheit, er hat auch einen tollen Text, der ihn zu einer Befreiungshymne der Bürgerrechtsbewegung gemacht hat. „It’s been a long, a long time comin’, but I know, a change’s gonna come.” Es gibt keinen Tag, an dem mich diese Worte nicht mit Hoffnung erfüllen würden.

      Stevie Wonder
      Es gibt viele Gründe, warum für den Titel des größten Soulsängers aller Zeiten eigentlich nur Stevie Wonder in Frage kommt, ein Musiker, der selbst in illustrer Gesellschaft wie hier noch eine Klasse für sich ist. Stevie hat nicht nur alle musikalischen Voraussetzungen, er ist ein genialer Keyboardspieler, Schlagzeuger, Ausnahmesänger, sondern ist auch einer der besten Songwriter aller Zeiten, auf einer Stufe mit Lennon-McCartney oder Dylan. Seine zum großen Teil im Alleingang eingespielten Alben der 70er sind Feuerwerke an Kreativität, und enthalten zu viele fantastische Songs, um hier Aufzählungen zu starten (Ach, was soll’s – die 5 besten Songs von Stevie Wonder sind „Superstition“, „Sir Duke“, „Living For the City“, „I Wish“, „You Are the Sunshine of My Life“). Wer diesen Jahrhundertkünstler noch nicht für sich entdeckt hat, den fordere ich hiermit dazu auf, sich, in welcher Form auch immer, das Doppelalbum “Songs in the Key of Life” von 1976 zu besorgen und sooft wie möglich anzuhören. Danach auch noch seine anderen 70er-Jahre-Meisterwerke holen („Talking Book“, 1972; „Innervisions“, 1973; „Fulfillingness’ First Finale“, 1974), und der Grundstein für eine großartige Soul-Sammlung ist gelegt.

      PS: Weil’s grad so Spaß macht,
      die 10 besten Soulsongs aller Zeiten:

      1. A Change Is Gonna Come, Sam Cooke, 1964
      2. I Heard It Through the Grapevine, Marvin Gaye, 1968
      3. (Sittin’ on the) Dock of the Bay, Otis Redding, 1968
      4. Superstition, Stevie Wonder, 1972
      5. The Dark End of the Street, James Carr, 1966
      6. Knock On Wood, Eddie Floyd, 1966
      7. I Hear a Symphony, The Supremes, 1965
      8. Tired of Being Alone, Al Green, 1971
      9. This Old Heart of Mine, The Isley Brothers, 1966
      10. Papa Was a Rolling Stone, The Temptations, 1972

      Gregor Mitscha-Eibl, 19, Musikfan (Nebenberuf: Zivildiener)

      * + * + *

      Fünf europäische Hauptstädte, die zu besuchen und zu entdecken sich lohnen

      1. Stockholm – die Überraschende
        Wer – wie ich – Wasser, Licht, modernes Design und freundliche Leute mag, sollte Stockholm im Juni (möglichst rund um die Sonnwende besuche). Das Licht ist ein Wahnsinn – und es ist (fast) die ganze Nacht hell, die vielen Wasserwege machen die Stadt fast zu einem nördlichen Venedig, die Geschäfte bieten spannendes nordisches Design, die Altstadt ist wunderbar, die Parks auch und die Menschen sind so freundlich, wie man es von den SkandinavierInnen erwartet.
        Besonders Empfehlung: Eine Bootsfahrt durch die Wasserwege der Stadt (die auch gleich einiges an der tlw. aufregenden Architektur sehen lässt), ein Ausflug in die Schären und ein Besuch des Moderna museet (Museum für moderne Kunst)
      2. Bukarest – die Ambivalente
        Nur eine Flugstunde entfernt – und doch so weit weg. Man weiß, wer den Preis für die gigantomanischen Prachtbauten Ceausescus zu bezahlen hatte, und ist doch irgendwie überwältigt. Bukarest beeindruckt dabei auf gruselige Art, aber auch durch seinen Charme, das balkanesque Flair, die Aufbruchstimmung – trotz vieler Probleme – und das bodenständige gute Essen.
      3. Riga – die Aufbrechende
        Noch mehr Aufbruchstimung in Riga, der hübschen lettischen Hauptstadt. Wer glaubt, um Jugendstilhäuser zu sehen, nach Wien fahren oder dort bleiben zu müssen, wird in Riga aus dem Staunen kaum herauskommen. Absolut sehens- und besuchenswert ist aber auch die Altstadt (Weltkulturerbe!), mit vielen Kirchen (die Kathedrale wird leider seit langer Zeit renoviert), schönen Häusern – eines mit Bleckkatzen am Dach – sympathisch, schicken Lokalen, Geschäften, die u. a. wunderbare Leinen- und Bernsteinware verkaufen … Schwere Kost, aber auf keinen Fall zu versäumen ist der Besuch des Okkupationsmuseums, der Nachhilfeunterricht in Sachen Geschichte des Baltikums bietet, ein Ausflug ins nahe gelegene Freiluftmuseum führt noch weiter in die Geschichte zurück.
        Besonderer Tipp: Die Cocktails mit Riga-Balzams die in einem Restaurant/einer Bar (ich glaub sie heißt B-Bar) gleich hinter der Kathedrale serviert werden.
      4. Lissabon – die Melancholische
        Wer’s sonnig und melancholisch mag und Städte mit mediterranem Dorfcharakter liebt, ist in Lissabon bestens aufgehoben.
        Als Tagesprogramm schlage ich Frühstück mit Galao (portugiesischer Milchkaffee) und eine der köstlichen Bäckereien im Cafe Suica, dann einfach durch die Stadt flanieren, hinunter zum Hafen z.B., rauf zur Burg, das Fado-Museum besuchen, Fisch essen …
        Spezielle Empfehlung: Vor Reiseantritt die Filme ‚Lisbon Story‘ und ‚Erklärt Pereira‘ anschaun – und so richtig auf den Geschmack kommen!
      5. Paris – die Klassikerin
        Die FranzösInnen wissen einfach, wie man gut lebt. Und Paris bleibt eine beliebte Klassikerin meiner Liste an wunderbaren Hauptstädten. Unverzichtbar aus meiner Sicht vor allem auf einen Bummel durch das Marais-Viertel (jüdisches Viertel mit gleichzeitig viel Lesben- und Schwulenkultur, schönen Häusern, feinen Cafes, guten Einkaufsmöglichkeiten … Im wieder eröffneten Musee de l’Orangerie können seit kurzem wieder die Seerosengemälde Monets besichtigt werden und das allerneueste Museum du quai Branly ist nicht nur architektonisch, sondern auch aufgrund seines Versuches, ein ‚anderes‘ ethnologisches Museum zu sein, mehr als nur interessant.

      Michaela, 39, normalerweise PR-Agentin f. Schuldnerberatungen und Armutskonfernez, dzt. „Visiting Researcher“ an der University of Winchester

      Im Rahmen meines Engagements im europäischen Armutsnetzwerk EAPN (European Anti Poverty Network) – und auch im Zuge ‚privaterer‘ Reisen – hab ich in den letzten Jahren u. a. auch Amsterdam, Barcelona, Berlin, Bilbao, Dublin, Galway, Groningen, Helsinki, Istanbul, Liverpool, Ljubljana, London, Madrid, Novi Sad, Oslo, Sofia, Toledo, Vilnius, Valletta und – immer wieder – Brüssel besucht.
      Jede Stadt hat ihre Reize – die Auswahl war verdammt schwer!

      Adventmails 2006/22 (Listen aller Art)

      Hier die Liste meiner fünf Undenkbarkeiten darüber, was passieren hätte können, wenn das Listen- (Un-)Wesen schon früher unsere Kultur unterminiert hätte.

      Ich wäre dafür oder auch dagegen, …

      1 …weil die Lyrik irgendwann abgebogen wäre
      Ingeborg Bachmann:
      Die gelistete Liste
      Es kommen längere Listen.
      Die auf Widerruf gelistete Liste
      wird sichtbar am Horizont.
      Bald musst du den Schuh schnüren
      und die Hunde zurückjagen in die Marschhöfe.
      Denn die Eingeweide der Fische
      sind kalt geworden im Wind.
      Ärmlich brennt das Licht der Lupinen.
      Dein Blick spurt im Nebel.
      Die auf Widerruf gelistete Liste
      wird sichtbar am Horizont.
      Es kommen längere Listen.

      2 …weil auch im großen Theater und in der Belletristik unübersehbare Spuren hinterlassen worden wären
      Mutter Courage und ihre Listen: Bert Brecht
      Die Unerträgliche Listigkeit des Seins: Milan Kundera
      Die Zauberliste: Thomas Mann

      3 …weil die Philosophie wohl eine andere Wendung genommen hätte
      Ludwig Wittgenstein
      Tractatus listo- philosophicus
      1 Die Welt ist alles was gelistet ist.
      2 Was gelistet ist, ist die Tatsache, ist das Bestehen von Sachverhalten.
      3 Das logische Bild der Tatsachen ist die Liste.
      4 Die Liste ist der sinnvolle Satz.
      5 Der Satz ist eine Wahrheitsfunktion der Elementarlisten.
      6 De allgemeine Form der Liste ist: [list].
      7 Was man nicht listen kann, das muss man streichen.

      4 …weil es bei anderen – wie gesagt würde – wahrscheinlich nicht so tragisch gewesen wäre
      Thomas Bernhard
      war von der Grazer Autorenversammlung für einen Professorentitel vorgeschlagen worden. Hier seine – fast authentische – Antwort an den zuständigen Ministerialbeamten:vom 27. März 1986:
      Sehr geehrter Herr Dr. Temnitschka,
      ich nehme seit über 10 Jahren weder Listen noch Titel an und naturgemäß auch nicht ihren lächerlichen Professorentitel.
      Die Grazer Autorenversammlung ist eine Versammlung von untalentierten Arschlöchern.
      Mit freundlichsten Grüßen
      Ihr Thomas Bernhard

        5 …weil in der Popmusik das Hit-Listen bekanntlich ja tatsächlich wahr geworden ist und sich seither bis in die Texte hineinzieht
        Listen to what the man said – Wings
        Your kiss is on my list -Daryl Hall & John Oates
        Listen to your heart – Roxette
        …und so weiter

        Norbert, 43, selbständig, Berater

        Adventmail 2005/17 (warten)

        Tom Waits …
        …wurde als Thomas Alan Waits am 7. Dezember 1949 in Pomona, Kalifornien, geboren. Seine Eltern trennten sich, als er noch ein Junge war.
        Waits arbeitete als Küchenhilfe, Kneipenpianist und Türsteher und tingelte als Musikerpoet durch die Lande. Er schrieb Songs, die von Unterprivilegierten erzählten und sich in miesen Kneipen und schäbigen Motels abspielten.
        Sein Debütalbum „Closing Time“ wurde 1973 zum Szene-Geheimtipp und seine Fans verehrten ihn als neuen Jim Morrison. Mit seinen folgenden Alben avancierte er zum Kultidol und erlangte weltweite Berühmtheit als Interpret von schwermütig stimmenden Songs.
        Er arbeitete mit Bette Middler und Crystal Gayle, mit der er 1982 einen Song zu Francis Ford Coppolas Musical-Film „One From The Heart“ beisteuerte. Der Film floppte zwar, die Musik wurde allerdings für einen „Oscar“ nominiert.
        Neben seiner Musik zeigte sich Tom Waits auch als Schauspieler und hatte Rollen in „Rumble Fish“, „Cotton Club“ und „Ironweed“. Sein Auftritt als inhaftierter Radio-DJ in „Down By Law“ brachte ihm sehr gute Kritiken ein.
        Im Jahr 1981 heiratete Waits die Dramaturgin Kathleen Brennan. Diese brachte 1983 Tochter Kellesimone und 1985 Sohn Casey Xavier zu Welt. Sie war außerdem von nun an Waits Partnerin und arbeitete an dessen Projekten mit.
        Mitte der 80er Jahre schaffte Waits den internationalen Durchbruch als Musiker und veröffentlichte die Alben „Swordfishtrombones“ und „Rain Dogs“, auf dem Titel wie „Soldier’s Thing“, „Blind Live“ und „Downtown Train“ veröffentlicht wurden. 1990 schaffte Rod Stewart mit seiner Version von „Downtown Train“ Platz drei der US-Charts.
        Waits widmete sich mit seiner Frau der Arbeit an einer einem ungewöhnlichen Projekt. Er vertonte mit ihr den Monolog „Frank’s Wild Years“ von seinem Album „Swordfishtrombones“ zu einem musikalischen Stück, was im gleichen Jahr in Chicago Theaterpremiere feierte.
        Mitte der 90er Jahre führte Waits Prozesse gegen seinen Verlag „Third Music Story“, die er beide gewann. Es ging um Veräußerungen von Titeln für Werbezwecke ohne die Zustimmung von Waits. „Heart Attack And Wine“ war an Levi’s Jeans und „Ruby’s Arms“ an eine französische Käsefirma verkauft worden.
        In den 90er Jahren war Waits weiterhin zweigleisig unterwegs. Er spielte in Filmen wie „Dead Man Walking“, „Night On Earth“ und 1999 in „Mystery Men“ neben Ben Stiller. Und Waits brachte weitere Alben auf den Markt. Mit seinem 1992 veröffentlichten „Bone Machine“ konnte er 1993 seinen ersten „Grammy“ in der Kategorie „Best Alternative Music“ feiern.
        Waits lebte abgeschieden und war nur selten auf der Bühne zu erleben. 1998 verließ er das Major-Label „Island“ und unterschrieb für ein Album beim Independent-Label „Epitaph“, welches „Bad Religion“-Gitarrist Brett Gurewitz gehörte. Das Werk erschien 1999 als „Mule Variations“ und verschaffte Waits erneut weltweiten Erfolg. Chart-Platz vier in Deutschland, Top Ten in anderen europäischen Ländern und in Japan, Platz 30 in den USA. „Mule Variations“ wurde in der Sparte Blues mit einem „Grammy“ für das „Beste zeitgenössische Folkalbum“ ausgezeichnet.
        Wiederum mit seiner Frau erarbeitete Tom Waits in der Folge gleich zwei neue Alben auf einmal und brachte diese im Mai 2002 in den Handel – „Alice“ und „Blood Money“.
        Im Oktober 2005 war Waits in dem neuen Film des italienischen Regisseurs Roberto Benigni zu sehen: „La tigre e la neve“ behandelt mit der üblichen Kombination von Humor und Tragik das Thema des US-amerikanischen Krieges im Irak.

        Biographie siehe auch www.allmusic.com