Barista Workshop bei Gota/Wien, 31.5.2025

Wir waren mit dem Auto unterwegs – was in Wien selten der Fall ist. Aber es galt, Claudia zum Operateur ihrer lädierten Schulter zu bringen. Und danach wollte sie unbedingt in die äußere Mariahilferstraße (Nr. 192), warum auch immer. Ich wenig begeistert, da nicht gerade auf der Strecke am Weg nach Hause. Aber gut.
Ihr Ziel war ein Café, ein besonderes, für seine Röstkompetenz ausgezeichnetes: Gota, „Coffee Experts“, die Internationalität u.a. mit einer nur auf Englisch gehaltenen Website zum Ausdruck bringen. Als wir exzellenten Cappuccino und einen Snack aßen, eröffnete mir Claudia, sie schenke mir als Dank für meine „Schulter-Unterstützung“ einen Barista Workshop, den Gota regelmäßig anbietet und der für mich an einem Samstag während ihres mehrwöchigen Reha-Aufenthalts anberaumt war.
Heute, am letzten Mai, war es soweit. Vorab informierte ich mich auf Wikipedia über Kaffee-Basics: Arabica und Robusta als Hauptsorten, anregende und sogar gesundheitsfördernde Wirkung des Koffeins, Handelsströme ausgehend vom Coffee belt… Gota-Experte Michi informierte weiters über die verschiedenen Kaffeeverarbeitungsmethoden, vor allem übers Rösten, über Mahlwerkkalibrierung, Umgang mit Espressomaschinen und Kaffeemühlen, Extraktion und sogar übers Aufschäumen von Milch bis hin zur Latte Art. Viel Interessantes und vieles, dass ich bald wieder vergessen werde, vor allem den Umgang mit Maschinen, die wir gar nicht im Haushalt haben.

So sieht gelungene „Latte Art“ aus (Foto von https://gota.coffee/pages/about-gota)

Was ich mir merken möchte: die Grundregeln der Espressozubereitung: 15g Kaffeepulver sollen nach dem Bedienen unserer Delonghi Dedica zwischen 20 und 30 Sekunden lang die doppelte Menge Espresso – also 30g – ergeben. Die Brühtemperatur liegt bei über 90 Grad, der Druck bei beachtlichen 9 bar. Das sollte eine gut sichtbare Crema ergeben. Läuft das Wasser zu kurz durch, kommt es zu einer Unterextraktion, d.h. die Gehaltsstoffe der (zu grob gemahlenen? Im Siebträger mit dem Tamper unzureichend planierten?) Bohnen kommen nicht zur Geltung. Das Ergebnis hat statt einem ausgewogenen Verhältnis von sauer, bitter und süß nur ersteres. Werden die Bohnen aber zu fein gemahlen und „tropft“ der Espresso nur so runter, dann kommt es zu einer Textur „wie Sirup“, so Michi über diese Überextraktion.
Wer Kaffee lieber als Verlängerten mag so wie meine Liebste, dann ist es laut Michi besser, heißes Wasser zuzugeben („Americano“) statt eines zweiten Durchlaufs desselben Siebinhalts.
Gute Kaffeeröstungen bieten viele Infos zu Herkunft, Geschmacksprofil, Anbauhöhe und Röstungsvariante – in Italien wird stark geröstet, die Bohnen sehen dann sehr dunkel aus; bei Gota mag man’s lieber weniger und heller (was aber eher die Säure betont und ich nicht so schätze).
Wie auch immer: Ich muss mal in unserer Küche mit Waage und verschiedenen Malgraden herumexperimentieren und Geschmackserfahrungen sammeln. Morgen geht’s los (heute hatte ich schon zu viele Espressi).

Da müssen sich Önologen ranhalten: Kaffee kann schon sehr unterschiedlich schmecken

„Ripley“, Kurzserie auf Netflix (USA 2024) *****

Tom Ripley, ein New Yorker Hochstapler, soll in den 1950er-Jahren Dickie, den Sohn eines reichen Geschäftsmanns, aus dessen italienischem Bella-Vita-Leben zurück nach Hause holen. Er erschleicht sich dessen Vertrauen, wohnt über Wochen bei ihm an der Amalfiküste, doch als sich die Gelegenheit bietet, tötet den wohlhabenden jungen Mann und nimmt dessen Identität an. Doch hinter seinem komplexen Lügengeflecht wähnt er sich in falscher Sicherheit.
Die Serienverfilmung des berühmten Kriminalromans „Der talentierte Mr. Ripley“ von Patricia Highsmith legt in acht Folgen die tödliche Leere und die Abgründe der Hauptfigur frei. Gezeigt wird das alles in fantastischen Schwarzweiß-Bildern, die an die legendären Aufnahmen von Henri Cartier-Bresson erinnern und über die sich manchmal etwas dahinschleppende Handlung mit so manchen Unwahrscheinlichkeiten hinwegsehen lassen. Hinter dem Lügengeflecht Ripleys zieht sich die Schlinge der polizeilichen Ermittlungen immer enger. Der zunehmend Verdächtige switcht zwischen Dickie und Tom und reist nach Neapel, Rom, Palermo, Venedig – Städte, deren Atmosphäre immer wieder großartig fotografiert wird. Außerdem könnte man durch die Serie zum Caravaggio-Fan werden (was ich allerdings ohnehin schon lange bin).
Steven Zaillian, Drehbuchautor und Regisseur von „Ripley“, hat von den bisherigen filmischen Umsetzungen des Highsmith-Romans – u.a. mit Alain Delon (1959) und Matt Damon (1999) in der Hauptrolle – sicher nicht die schlechteste geschaffen.

„Das Reservat“, Kurzserie auf Netflix (Dk 2025) ******

Streaming-Serien begleiten mich seit ca. zwei Jahrzehnten, und Werke wie „Six Feet Under“, „Breaking Bad“ oder „The Wire“ können mit den besten Filmarbeiten durchaus mithalten. Nicht nur aus den USA, auch aus Skandinavien kommen immer wieder gute Serien, und die jüngst von mir auf Netflix gesehene „Das Reservat“ fand ich hervorragend.
Es geht um eines der wohlhabendsten und nobelsten Viertel im Norden Kopenhagens, wo nur vordergründig alles perfekt zu sein scheint. Plötzlich ist das philippinische Au-pair-Mädchen Ruby wie vom Erdboden verschluckt, nachdem sie die reiche, gestylte Nachbarin Cecilie um Hilfe bat. Sie halte es bei deren Freunden Katarina und Rasmus nebenan nicht mehr aus. Cecilie tut dies ab und rät zu einer Aussprache, das anhaltende Verschwinden Rubys weckt aber Schuldgefühle. Wie ihr eigenes Au-pair-Mädchen Angel misstraut sie den Beschwichtigungen ihrer Nachbarsfreunde und ihres eigenen Ehemannes Mike, der den superreichen Rasmus als Anwalt vertritt.
Cecilies Bemühungen, so wie die zuständige Kriminalpolizistin Aicha die Wahrheit herauszufinden, werfen Konflikte in ihrer Ehe auf, als sich herausstellt, dass Mike mehr kontakt zu Ruby hatte, als seine Frau bisher wusste. Der Fund der Leiche scheint zu bestätigen, dass es sich um ein Verbrechen handelt – oder war es doch „nur“ ein Suizid aufgrund einer unerwünschten Schwangerschaft?
Es zeigt sich, dass sich hinter dem schönen Schein einer nahezu makellosen Fassade düstere Wahrheiten verbergen, die auch die pubertierenden, wohlstandsverwahrlosten Söhne der beiden Familien betreffen. Und auch Cecilie wird vor Augen gehalten, dass sie vom Leben ihrer untergebenen Filipina null Ahnung hat…
„Das Reservat“ hat sechs Folgen und bleibt spannend bis zum überraschenden, desillusionierenden Schluss.

Ausstellung 28.5. „Wer hat die Hosen an?“, Weltmuseum Wien

Ich musste erst Pensionist werden, um erstmals das Weltmuseum in der Neuen Hofburg zu besuchen (oder ich war schon dort, kann mich aufgrund meines nachlassenden Gedächtnisses aber nicht mehr erinnern). Allein der Bau – eines der jüngeren Gebäude des bis ins 13. Jht. zurückreichenden Hofburg-Komplexes, die weltweit größte ihrer Art – ist imposant.

In der oberen Etage warf ich noch einige Blicke in die zweite aktuelle Ausstellung
„Der europäische Koran“

Mich interessierte die aktuelle Ausstellung „Wer hat die Hosen an?“ Dieser Titel suggeriert ein Machtgefälle. Und tatsächlich oblag es über Jahrhunderte meist den gesellschaftlich dominierenden Männern, Beinkleider zu tragen, für Frauen galt das als unschicklich und musste von ihnen erst erkämpft werden – anfangs reitend oder auf Bühnen spielend. Und Hosen sind auch ein typisch europäisches Kleidungsstück, auch wenn die älteste gefundene Hose aus Westchina rund 1000 v. Chr. stammt. Indigene in Amerika oder Afrika mussten sich bald den Kleidungsvorstellungen der Kolonialisten aus der Alten Welt beugen.
Die Ausstellung bietet in fünf Räumen eine Vielzahl an Beispielen, wie unterschiedlich Hosen aussehen können: Die Palette reicht vom tangaähnlichen Seidenband der Sumoringer über metallene Harnische der Ritterzeit bis hin zum allgegenwärtigen Denimstoff, aus dem die Jeans dieser Welt geschneidert sind. Und auch konsumkritische Anmerkungen zu den Folgen der heutigen Kleidungs(über)produktion kommen nicht zu kurz.

Via Bildschirm konnte man sich mit bunten Hosen „bekleiden“.

Lange Nacht der Kirchen 23. Mai 2025

Meine erste LNdK ohne die Verpflichtung, über eine der unzähligen Veranstaltungen zu berichten (was diesmal laut Kathpress-Ex-Kollegen schwerer fiel, da nur wenige Programmpunkte in Wien „journalistisch relevant“ seien). Also: Programm nach Lust und Laune.
Ich startete mit „Dreck“, einem vom Katholischen Bildungswerk veranstalteten Einpersonenstück von Robert Schneider („Schlafes Bruder“) aus dem Jahr 1991 über Xenophobie. Es geht um einen arabischen Rosenverkäufer namens Sad (Saddam), der sich auf diese Weise sein Studium finanziert. Er beschreibt sein Leben in einer deutschen Stadt, seine Erfahrungen mit Fremdheit und Verachtung. Sad macht sich demütig zum Sündenbock, übernimmt die absurdesten Vorurteile über „die Ausländer“ und hält dem Publikum damit einen Spiegel vor

Der Rosenverkäufer Sad aus Robert Schneiders Stück „Dreck“

Beim anschließenden Gespräch, moderiert von KAÖ-Vizepräsidentin Kathi Renner, wurde deutlich, dass trotz Hilfsbereitschaft der oft in Pfarren engagierten Anwesenden Fremdheit irritiert. Die 1956 aus Ungarn, 1968 aus der CSSR oder in den 1990ern aus dem zerfallenden Jugoslawien Geflohenen seien „uns doch viel näher als die heutigen Flüchtlinge aus Afghanistan oder Syrien“.
Dann hieß es für mich. „Komm vorbei in Mamas Café!“: Das Social Business im Zwettlerhof/Stephansplatz schafft für Alleinerziehende, die in der St. Elisabeth-Stiftung begleitet werden, Arbeitsplätze im Berufsfeld Gastronomie. Zu meiner Überraschung gab’s dann dort auch eine von meinem Ex-Kollegen Henning Klingen moderierte Diskussion über katholische Bildung bzw. Religionsunterricht mit vorhersehbaren Statements von Fachleuten wie Schulamtsleiterin Andrea Pinz (am Bild ganz rechts). War froh, dass ich darüber nichts mehr schreiben musste und ging vorzeitig ab.

LNdK-Diskussion im neuen Mamas Café

Denn in der Votivkirche war ein A-cappella-Konzert des „V.O.I.C.E Vienna Pop & Jazz Choir“ angekündigt – das leider nicht das hielt, was ich mir davon erwartete. Die Akustik in der riesigen, gut gefüllten neugotischen Kirche war katastrophal, die Darbietung u.a. mit einem Falco-Medley und Filmsongs eher mau.

Chorgesang in der sehr hallenden Votivkirche – nichts für mich

Also ab zur letzten Station: Im kirchlichen Begegnungszentrum „FranZ“ in der Bruno-Marek-Allee wurde unter dem Motto „Anybody out there?“ ein „Streifzug durch die Bibel und die Musik von Pink Floyd“ beworben. Erinnerte mich an einen von mir mitgestalteten Abend der Grazer LaientheologInnen, bei dem Bischof Johann Weber als Gast Popmusik und selbst verfasste Meditationstexte ertragen musste. Im FranZ war eher älteres Publikum präsent, ca. 15 Leute, die in entspannter Haltung Musik aus ihrer Jugendzeit und Perikopen aus dem Alten und Neuen Testament hörten. Eine gelungene Kombination. Muss wieder mal „Dark Side oft the Moon“ und „Wish You Were Here“ hören…

Abschließendes Relaxen zu Pink Floyd und Bibeltexten

Rund 300.000 Besucher bei „Langer Nacht der Kirchen“, vermeldete Kathpress im Anschluss an die schon traditionelle Veranstaltung in ganz Österreich. Geschätzt wie üblich „Daumen mal Pi“.

Theater Wiener Festwochen: Die zweite Frau, der xte Mann

Zugegeben, sie war kurz, meine Theaterkarriere. Genau genommen bestand sie in einem zehnminütigen Probeauftritt, für den ich gerade mal ein Dutzend Sätze zu lernen hatte. Der jedoch barg durchaus Dramatik. Immerhin sagte Pia Hierzegger zu mir und ich zu ihr, dass wir einander lieben, sie sank vor mir auf die Knie, nachdem sie mich mit Nudeln beworfen hatte…
Aber der Reihe nach: Meine Freundin Martina hatte mich auf eine Ausschreibung für die Wr. Festwochenproduktion „The Second Woman“ aufmerksam gemacht, für die Männer unterschiedlichen Alters gesucht wurden. Auch schauspielerisch unbedarfte. „Die australischen Regisseurinnen Nat Randall und Anna Breckon lassen eine Frau mit 100 verschiedenen Männern sowie queeren und nicht-binären Menschen aus Wien nacheinander dieselbe emotionale Beziehungsszene spielen.“ So das Konzept.
Ich meldete mein Interesse an, absolvierte erfolgreich ein Online-Casting und bekam eine Einladung zu einem Probetermin im Wiener Museumsquartier. Das war gestern, am 20. Mai. Dort stellte sich heraus, dass die Probe nicht für mich – und die Dutzenden anderen zu diesem Zweck bestellten Männer – angesetzt war, sondern für Pia Hierzegger. Sie sollte sich auf den Theatermarathon am 28./29. Mai vorbereiten, wenn sie in 24 Stunden mit nur wenigen Pausen 100 andere Männer bespielen sollte. Wir „Probemänner“ wurden nicht mehr gebraucht.
Was ich schade fand. Vor dem Probelauf hieß es, wir könnten gar nichts falsch machen. Profi Pia würde Textunsicherheiten schon „auffangen“, auf Unvorhergesehenes reagieren, wir könnten somit ruhig das Textkorsett lockern und Platz für Improtheater lassen. Ich – eingestellt auf eine Probe vor dem „großen“ Auftritt in der MuQua-Halle E – war durch diese Info in Pfeifdrauf-Stimmung und mit einem Schlag null nervös.
Als ich dran war, stand Pia Hierzegger mit dem Rücken zu mir in einem mit Klebebändern markierten Raum, in dem ein Tisch und zwei Sessel, eine Art Hausbar und eine Kommode mit Musikabspielgerät standen. Auf ein Zeichen der Regisseurin hin „trat ich ein“, entschuldigte mich für mein Zuspätkommen wegen eines Treffens mit meiner Ex-Frau, bei dem anstehende Feste für die erwachsenen Söhne zu besprechen waren – so mein selbst erfundener Einstieg. Pia gab – wie im Skript vorgesehen – die enttäuschte Geliebte mit Sätzen wie „Ich genüge dir nicht“ und „Es macht nichts, dass du mich nicht mehr attraktiv findest“. Was ich der Vorgabe entsprechend abstritt und ihr einen beschwichtigenden Kuss gab. Es folgte ein Zornesausbruch mit meinen mitgebrachten Fastfood-Nudeln, ein halbherziger Tanz zur von Pia aufgedrehten Musik und ihr Schlusssatz „Du gehst jetzt besser!“, zu dem sie mir die 50 vertraglich zugesicherten 50 Euro Aufwandsentschädigung aushändigte.
Ich hatte für meinen Schlusssatz die Wahl zwischen „Ich liebe dich“ und „Ich hab dich nie geliebt“.
Nun ja. Ob es für das Publikum reizvoll wird, sich diese Episode einer Liebessackgasse in 100 Varianten anzusehen, sei dahingestellt. Für spontanen Witz und originelle Abweichungen ist wenig Raum. Frau Hierzegger beneide ich ja nicht darum, ab 18 Uhr am 28. Mai 24 Stunden lang (mit kurzen Pausen) auf der Bühne zu stehen, beim Tanzen zu Boden zu sinken und davor mit Essen zu werfen. Sie fühlte sich bei der Probe schon etwas müde an. Karten gibt es für „The Second Woman““, das auch schon anderswo aufgeführt wurde, übrigens keine mehr.

Ich und die Päpste

Als ich geboren wurde, war der sympathische Konzilspapst Johannes XXIII.: („Giovanni, nimm dich nicht so wichtig“) seit knapp einem Jahr im Amt.
Von Paul VI. bekam ich erst nach seinem Tod etwas mit, als ich Anfang 1980 mit dem Theologiestudium in Graz begonnen hatte. Seine Lehrentscheidung in Bezug auf Empfängnisverhütung („Humanae vitae“, 1968) hat sein Pontifikat mehr überschattet als er es für seine entwicklungspolitischen Aussagen („Populorum progressio“, 1967) verdient hätte.
Im Dreipäpstejahr 1979 war Johannes Paul I. leider nur 33 Tage im Amt. 1980 war meine anfängliche Sympathie für den polnischen Papst Johannes Paul II. für seine KP-kritische Haltung in Solidarnosc-Zeiten schnell geschwunden, als er dem Schweizer Theologen Hans Küng („Unfehlbar?“, 1970) einen Maulkorb umhing. Und erst recht, als unter seiner Verantwortung in Österreich eine Reihe ungeeigneter Bischöfe (Eder in Salzburg, Krenn in Wien und dann St. Pölten, Groer in Wien, Laun in Salzburg) ernannt wurden und die offene Linie unter Kardinal Franz König konterkariert wurde. Und. Der Wojtyla-Papst blieb viel zu lange im Amt – nämlich 26 Jahre, die letzten davon schon gesundheitlich schwer angeschlagen.
Als sein oberster Glaubenshüter Kardinal Ratzinger als Benedikt XVI. Papst wurde, war ich – offen gesagt – entsetzt. Ich hatte den Bayern als theologischen Riegelvorschieber etwa gegen die Theologie der Befreiung erlebt, die ich im Studium schätzen gelernt hatte. Und die Jammerei auf hohem intellektuellem Niveau gegen den Relativismus weckte dann in mir auch keine Begeisterung: Für Jesus nimmt man nicht ein, indem man vor den Folgen der Gottlosigkeit warnt.
Ich Kathpress-Redakteur saß mit dem Grazer Bischof Kapellari vor dem Fernsehgerät, als mit Franziskus der erste Jesuit und Lateinamerikaner auf den Stuhl Petri gewählt wurde. Seit seinem „Buona Sera“ vom Balkon des Apostolischen Palastes mochte ich den bescheidenen Bergoglio immer sehr. Sein Engagement für eine Kirche der Armen, für Umweltschutz und eine „Wirtschaft, die nicht tötet“ schätzte ich sehr, fand ihn auch persönlich liebenswürdig. Was mich über Befremdliches wie seine Aussagen über den Teufel oder manch machohafter Ausrutscher hinwegsehen ließ. Als Franziskus am Ostermontag 2025 starb, war ich ehrlich traurig.
Und dann sehr überrascht, dass mit Leo XIV. ein US-Amerikaner schon nach vier Wahlgängen nachfolgte. Die Nachricht vom weißen Rauch aus der Sixtinischen Kapelle erreichte mich bei der Abfahrt in eine Tiefgarage in Zagreb, der letzten Station einer Westbalkantour gemeinsam mit meiner Claudia. Via Internet dann Freude über die erste Botschaft des bisherigen Kardinals Prevost „Der Friede sei mit euch!“ in einer Zeit großen Unfriedens und blutiger Konflikte. Leo ist polyglott, hat EZA- und Kurienerfahrung, wird wohl ein Brückenbauer sein, ohne (auch von mir) ersehnte Kirchenreformen wie Frauenweihe voranzutreiben. Aber vielleicht ist es heute ja seliger, Frieden zu stiften, als die Kirche moderner zu machen. Ich gestehe Leo einen Vertrauensvorschuss zu, seine bisherige Performance war ganz ok.
Und richtig gut, ja berührend, finde ich die vor der Amtseinführung als Leo XIV. am heutigen 18. Mai bekannt gewordene Einladung von Prevost „an die Zweifelnden und Gebrochenen“. Dort heißt es:
„Brüder, Schwestern…
Ich spreche zu euch, besonders zu denen, die nicht mehr glauben, nicht mehr hoffen, nicht mehr beten, weil sie denken, dass Gott sie verlassen hat.
An die, die es satt haben, von Skandalen, von missbrauchter Macht, von der Stille einer Kirche, die manchmal mehr wie ein Palast als ein Zuhause scheint, geplagt zu werden.
Ich war auch wütend auf Gott.
Ich habe auch gute Menschen sterben sehen, Kinder leiden sehen, Großeltern ohne Medizin weinen sehen.
Und ja… es gab Tage, an denen ich betete und nur ein Echo spürte.
Aber dann entdeckte ich etwas:
Gott schreit nicht. Gott flüstert.
Und manchmal flüstert er aus dem Schlamm, aus dem Schmerz, aus einer Großmutter, die dich ohne etwas zu haben, nährt.
Ich komme nicht, um euch einen perfekten Glauben anzubieten.
Ich komme, um euch zu sagen, dass der Glaube ein Gang ist mit Steinen, Pfützen und unerwarteten Umarmungen.
Ich bitte euch nicht, an alles zu glauben.
Ich bitte euch, die Tür nicht zu schließen. Gebt dem Gott, der auf euch wartet ohne Urteil, eine Chance.
Ich bin nur ein Priester, der Gott im Lächeln einer Frau gesehen hat, die ihren Sohn verloren hat… und trotzdem für andere kochte.
Das hat mich verändert.
Also, wenn du gebrochen bist, wenn du nicht glaubst, wenn du müde von den Lügen bist…
komm trotzdem. Mit deinem Zorn, deinem Zweifel, deinem schmutzigen Rucksack.
Niemand hier wird dich nach einer VIP-Karte fragen.
Denn diese Kirche, solange ich atme, wird ein Zuhause für die Obdachlosen und eine Rast für die Müden sein.
Gott braucht keine Soldaten.
Er braucht Brüder.
Und du, ja, du…
bist einer von ihnen.“