Axel Hacke: Aua! Die Geschichte meines Körpers (DuMont 2024, EUR 20.-)*****

Der Mann kann schreiben. Und er hat Humor, Selbstironie und keine Scheu vor Selbstentblößung. Das zeigen Kapitel wie „Zähne“, „“Bauch“, „Darm“ oder „Penis“, in denen der Starkolumnist und Erfolgsautor Hacke ausgehend von eigenen Leibeserfahrungen allgemeingültig Interessantes darlegt. Das ist Infotainment at it‘s best: Unterhaltsames, das zu wissen sich lohnt. Und manchmal Anlass zum Staunen und zur Erkenntnis „Das kenn ich von mir“ ist. Z.B. den Tinnitus im Ohr. Oder Schulterschmerzen. Für Männer untypisch ist wohl Hackes Bereitschaft, schnell mal zum Arzt zu gehen.

Es geht aber nicht nur um Physiologie und Anatomie, die Hacke’schen Körperteile sind für den Autor immer wieder Anlass zu Querverweisen vor allem auf Literatur und Wissenschaft. Die Kapitel des kleinen 220-Seiten-Bändchens sind kurz genug, dass man sie vor dem Einschlafen oder bei längeren Klogängen gut lesen kann. Bestens geeignet zum Verschenken – da kann man nichts falsch machen.

Adventmail 2024/24 (Farben)

Ich gehe gern in Kirchen. Morgen nachmittags in die Weihnachtsvesper in den Stephansdom (wenn es mein Heiligabend-Dienst zeitlich erlaubt). Selten am Sonntag, da wird mir bei Gottesdiensten schnell mal fad. Aber regelmäßig als Tourist, wenn ich z.B. mit dem Fahrrad in eine fremde Stadt komme und mir dann gerne deren spirituelles Zentrum – einen Dom oder sonstige Kirche – aufsuche. Es stimmt schon: Gotteshäuser haben heute oft etwas Museales, auch wenn draußen vor der Kirchenpforte reges Getriebe herrscht, finden sich drin im Haupt- und in den Nebenschiffen meist wenige Interessierte. Und von denen knipsen viele. Auch ich.
Aber das tue ich nicht ohne Ehrfurcht vor dem Herzblut, das Dutzende Menschen über Generationen in Kirchen gestalterisch hinterließen. Wie arm dagegen die Einkaufstempel, die Banken, Versicherungen oder Verwaltungsgebäude, die sich sonst so in Stadtzentren sammeln. Auf die Kirchenbank setzen, den Blick nach oben lenken, den konsumfreien Raum, gefüllt mit den Bitt- und Dankgebeten Tausender, genießen – das mag ich und tue es bei jeder Reise. Und auch manchmal in der Heimat.
Und besonders liebe ich das Spiel von Farbe und Licht der Kirchenfenster, das zu den oft dunklen Räumen einen reizvollen bunten Kontrast bildet. Ich durchsuchte meine Reisefotos und halte euch einige der schönsten Beispiele dafür vor Augen, dass Theologie leuchten kann, wenn sie statt auf Formeln und Paragrafen auf Durchlässigkeit und Buntheit setzt.
Mögt ihr zu Weihnachten und im Jahr 2025 auch viele solcher Augenblicke haben, die Labsal für die Seele sind! Das wünscht euch von Herzen Robert (der heute und am Freitag seine letzten Arbeitstage als Kathpress-Redakteur hat)

Rosette im Straßburger Münster

Oben ein Foto von der prächtigen Rosette im Münster von Straßburg, wo ich im Sommer 2022 radelnd unterwegs war. Und weitere „live erlebte“ vier von Gerhard Richter, Kölner Dom; Stanisław Wyspiański, Franziskus-Basilika Krakau; Markus Prachensky, Stadtpfarrkirche Enns; Marc Chagall, Fraumünster Zürich

Markus Prachensky, Stadtpfarrkirche Enns

Adventmail 2024/23 (Farben)

Es ist der letzte Tag vor Weihnachten. Ich habe lange zugewartet, um über „Ampelkoalition“ zu schreiben. So wie es heute aussieht, kommt Türkis-Rot-Pink in Österreich unter viel Hängen und Würgen zustande.
In Deutschland gab es ja die Ampel in den korrekten Farben Rot-Gelb-Grün. Doch Gelb, die Liberalen, schalteten von Grün auf Rot, die Koalition zerbrach. In Österreich wurde bereits in den 1990er Jahren ein Regierungsbündnis von SPÖ, Liberalem Forum und Grünen diskutiert – und letztlich verworfen. Jetzt waren die Vorzeichen für eine Einigung angesichts eines enormen Budgetlochs ungleich schwieriger.

Die deutsche Ampelkoalition
zerbrach an inneren Querelen

Ich wage mal einen Ausblick:
Türkis, Rot und Pink finden einen Minimalkonsens, den sie als „Kein weiter wie bisher“ verkaufen (was für die seit langem regierende ÖVP eine kuriose Aussage ist). Die Flaggschiff-Projekte der Regierungspartner – strenge Ausländer- und Asylpolitik bzw. Standortsicherung (ÖVP), Vermögenssteuern bzw. Gesundheitsreformen (SPÖ) und Bildungsoffensive bzw. Föderalismuseinhegung (NEOS) – werden durch Klientelpolitik und die Vorbehalte der anderen Partner so ausgehöhlt, dass sie der eigenen Anhängerschaft als fauler Kompromiss erscheinen. Das Unvermögen, dem jeweils anderen Erfolge zu gönnen, führt wie schon bei Türkis-Grün zu einem schwelenden Dauerkonflikt.
Den die FPÖ mit ihrer gehässigen Stammtisch-Oppositionspolitik zu nützen weiß. Und weitere Erfolge bei der Landtagswahl im Burgenland, den Gemeinderatswahlen in NÖ, der Steiermark und in Vorarlberg und sogar deutliche Zuwächse bei der Landtagswahl in Wien erzielt. Dennoch hält die österreichische Ampel bis zur nächsten Bundespräsidentenwahl 2028 durch, zerbricht dann aber an inneren Querelen. Bei der anschließenden NR-Wahl erreicht die FPÖ 35 Prozent, der neue Bundespräsident Otmar Karas kann nicht anders, als Oppositionsführer Kickl diesmal mit der Regierungsbildung zu beauftragen.
Die dann mit einem VP-Wirtschaftsbündler als Juniorpartner gebildete Regierung macht für die Wirtschaftskrise die Migration verantwortlich, ignoriert die zunehmenden Klimakatastrophen, legt der EU jeden greifbaren Stein in den Weg, stutzt den ORF auf ein willfähriges Medienorgelchen zusammen und schaltet die Medien gleich, reagiert auf die wachsende Protestbewegung auf den Straßen mit bisher ungekannter Polizeigewalt…
Nein, stopp, so nicht, bitte nicht! Lasst uns alle miteinander dazu beitragen, dass es so nicht kommt und Österreich ein Land bleibt, in dem wir gerne alt werden.

Adventmail 2024/22 (Farben)

Sich zu schminken ist eine jahrtausendealte Praxis, die in fast allen Kulturen der Menschheit zu finden ist. Die Gründe für das Schminken, seine Bedeutung und die verwendeten Materialien haben sich dabei im Laufe der Geschichte stark gewandelt. In Europa reicht die Geschichte des Schminkens von antiken Ritualen bis hin zur modernen Kosmetikindustrie. Ob als Ausdruck von Zugehörigkeit, als Mittel zur Repräsentation oder als Verdeutlichen der eigenen Persönlichkeit – das Schminken hat sich über die Jahrhunderte immer wieder gewandelt. In der modernen Gesellschaft ist es nicht nur ein kosmetischer Akt, sondern auch ein Mittel der Selbsterkenntnis und -verwirklichung, das in seiner Vielfalt für die individuelle Freiheit steht.
Ich selbst hatte eine etwas hippieeske Zeit während meines Studiums, in der ich nicht nur von Muttern gestrickte Legwarmer und ein aus dem Lockenkopf hinten herabhängendes Zöpfchen trug. Ab und an verwendete ich einen Kajalstift, um meinen Augen mehr Kontur zu geben. Ich fand mich attraktiver damit.
Und das ist auch der Grund für Schminken generell. Schon im Alten Ägypten wurden Kosmetika zur Betonung von Augen, Lippen und Haut eingesetzt. Im antiken Hellas galt starkes Make-up als sittenlos, während die Römerinnen es als Zeichen des Wohlstands betrachteten. Sie verwendeten Bleiweiß als Grundierung für eine blasse Haut, die als vornehm galt, und färbten die Lippen und Wangen rot. Ersteres war gesundheitsschädlich, aber was soll’s, wenn man/frau schöner sein möchte?
Nach dem Mittelalter, in dem Schminken oft als Sünde betrachtet wurde, erlebte die Kosmetik in Renaissance und Barock einen enormen Aufschwung. In den höfischen Kreisen Italiens und später in Frankreich wurde es zunehmend Mode, das Gesicht zu pudern und die Lippen und Wangen rot zu färben. Eine blasse Haut war das Ideal – und das blieb jedenfalls für Frauen bis ins 20. Jht. so, als das Reisen in sonnige Länder zum Statussymbol wurde. Am Hof des Sonnenkönigs Ludwig XIV. trugen Männer und Frauen Puder, Rouge und künstliche Schönheitsflecken (sogenannte „Mouches“), die je nach Position und Form Flirtsignale aussendeten.
Im 19. Jahrhundert setzte sich zunehmend der Trend zur „natürlichen Schönheit“ durch. Kosmetika wurden zwar noch verwendet, jedoch eher dezent und nur in bestimmten gesellschaftlichen Kreisen. In England und Frankreich wurde der Begriff „Schönheitspflege“ allmählich als etwas Normales und Akzeptables angesehen.
Mit Beginn des 20. Jahrhunderts veränderte sich das Schminken in Europa radikal. Durch den Einfluss von Film und Werbung wurde Kosmetik zu einem Massenprodukt. Die Kosmetikindustrie entwickelte sich in rasantem Tempo und Marken wie Maybelline und L’Oréal wurden populär. Freilich blieb das Schminken Spiegelbild der raschen gesellschaftlichen Veränderungen. In den 1950er Jahren herrschte das Ideal der gepflegten Hausfrau vor, in den 1970er Jahren wurde das Outfit schriller, zugleich gab es feministisch inspirierte Kritik an der Erwartung, Frauen hätten den Männern zu gefallen. Heute ist die Kosmetikkultur diversifiziert und individualisiert wie nie zuvor. Social Media und Influencer tragen das ihre dazu bei, dass Außenwirkung wieder enorm wichtig geworden ist.

Adventmail 2024/21 (Farben)

„Bildung. Alles, was man wissen muss“ (1999) lautet ein 700-Seiten-Konvolut des studierten Anglisten, Historikers und Philosophen Dietrich Schwanitz, das ich mit Begeisterung verschlang. Wie schon Egon Friedells „Kulturgeschichte der Neuzeit“ war das ein Buch, das Allgemeinwissen pointiert und unterhaltsam vermittelt. Und das Kapitel bei Schwanitz, das mich am meisten amüsierte, war jenes über „verbotenes Wissen“, über das, „was man nicht wissen sollte“. Darin war von „Königs“ die Rede, also von europäischen Herrscherhäusern und dazugehörigem Tratsch in der Regenbogenpresse, von Celebrities, aber auch von Leistungssport und Autovernarrtheit, vom Fernsehprogramm und den Banalitäten darin.
Apropos. Es gibt Menschen, die ich sehr schätze und die ich lieb habe, die sehen sich gerne Dinge wie „Dschungelcamp“, „Love Island“, „Der Bachelor“ oder „Masked Singer“ an (ich will jetzt keine Namen nennen). Neulich bin ich beim Rumzappen auf ein Trash-TV-Format gestoßen, bei dem Singles ihre möglichen Partner nackt kennenlernen können. Bei „Naked Attraction – Dating hautnah“ stand eine Frau vor sechs Telefonzellen-artigen Boxen, die den nicht den Blick in das Gesicht des Kandidaten freigaben, aber dafür auf alles, was südlich der Brust lag. „Geht’s noch tiefer?!“, dachte ich mir.
Aber ich wollte heute eigentlich über „Die Bunte“ schreiben, die der Burda-Verlag seit 70 Jahren auflegt. „Neues aus der Welt der Reichen und Schönen, der Stars und Sternchen, der Royals und des Adels“ ist da zu lesen, „auch aktuelle Trends aus den Bereichen Beauty, Mode, Lifestyle und Gesundheit werden aufgegriffen“, heißt es. Die verkaufte Auflage betrug im 3. Quartal 2024 322.075 Exemplare; das ist zwar ein Minus von 57 Prozent gemessen an der Zahl von vor 25 Jahren, aber immer noch viele Frauen blättern als Lesezirkel-Abonnentin oder unter der Trockenhaube eines Frisörs darin rum. Und lesen womöglich Fake News: Tom Cruise, angeblich „zeugungsunfähig“, klagte „Die Bunte“ ebenso erfolgreich wie der deutsche Ex-Bundespräsident Christian Wulff (angedichtete Affäre) oder Caroline von Hannover (erfundenes Interview).
Da kann ich als „Falter“-Abonnent nur sagen. Hol mich hier raus!

Adventmail 2024/20 (Farben)

„I’m dreaming of a white Christmas / Just like the ones I used to know“: So beginnt die mit rund 50 Millionen Exemplaren meistverkaufte Single der Welt, gesungen von Ober-Crooner Bing Crosby. Er nahm den von Irving Berlin 1940 komponierten Song zwei Jahre später auf und landete damit zu Weihnachten für elf Wochen an der Spitze der US-Charts. Damit nicht genug: Das Lied kehrte im Dezember 1943 und 1944 erneut auf Platz eins zurück – der Weltkrieg weckte wohl Sehnsüchte nach Idylle –, außerdem 1945 und 1946 und war in den folgenden Jahren ein Dutzend Mal in den Top 40 vertreten.
Schnee gehört zu Weihnachten einfach dazu, glauben viele. Die meteorologische Statistik sagt allerdings etwas anderes. In Wien konnte man die letzten richtigen Weihnachtstage mit Schnee, wie man es aus klischeehaften Weihnachtsfilmen kennt, im Jahr 1996 erleben. Damals lag schon ab dem 21. Dezember eine geschlossene Schneedecke, die über den Jahreswechsel hin anhielt. Am Heiligen Abend gab es sogar neun Zentimeter Neuschnee. 2016 gab es zuletzt am Morgen an der Wetterstation Hohe Warte eine Schneedecke. Die war jedoch durchbrochen und mit weniger als 1 Zentimeter Höhe auch sehr dünn.
„Weiße Weihnachten kommen in Österreich in tiefen Lagen nicht allzu oft vor und in den letzten Jahren wurden sie noch seltener“, erklärte Klimatologe Alexander Orlik von der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG). „Im Zeitraum von 1951 bis 1980 gab es in den Landeshauptstädten noch doppelt so oft einen 24. Dezember mit einer geschlossenen Schneedecke wie im Zeitraum von 1983 bis heute. „
In den fast durchwegs sehr milden 2000er-Jahren sind weiße Weihnachten aber nochmals deutlich seltener geworden und die meisten Landeshauptstädte verzeichneten die jeweils längste Serie an Weihnachten ohne Schnee am 24. Dezember. So erlebt St. Pölten seit 2008 in Serie grüne Weihnachten, in Bregenz, Salzburg, Linz, Graz und Klagenfurt gibt es seit 2011 keinen Schnee an den Festtagen, in Innsbruck seit 2017.
Ich habe den Eindruck, als sollten immer öfter Weihnachtsbeleuchtung und Lichterketten statt des ausbleibenden Schnees für Weihnachtsstimmung sorgen. Da gibt es Weihnachtsmänner, die sich von Balkonen abseilen, ein ganzes Rentier-Gespann im Vorgarten, blau blinkende Eiszapfen und in allen Farben leuchtende Sterne. All das sorgt manchmal für einen optischen Overkill. Erlaubt ist, was gefällt, auch wenn es die Nachbar:innen nervt. In Österreich gibt es noch keine Rechtsprechung zu privater Weihnachtsbeleuchtung, teilt die Mietervereinigung mit.

Adventmail 2024/19 (Farben)

Ich komme aus der „grünen Mark“ (was politisch leider so gar nicht zutrifft). 60 Prozent der Fläche der Steiermark sind von Wald bedeckt. Sogar noch etwas drüber liegt der Waldflächenanteil von Kärnten, in Gesamtösterreich beträgt er ca. 47 Prozent. Zum Vergleich: In Finnland – Europas Spitzenreiter – sind es 73,7, im landschaftlich wunderschönen Island nur 0,5 Prozent. Die waldreichsten Länder der Erde gemessen an ihrer Fläche sind Gabun, Guayana und Surinam mit jeweils um die 90 Prozent der Bodenfläche,
Zurück zu meiner Heimat: Die ersten zehn Jahre meines Lebens lebte ich in der baumfreien Innenstadt von Bruck/Mur, die nächsten ca. zehn Jahre in der Hochschwabsiedlung von Kapfenberg am Waldrand. Zwischen den Monokulturfichten spielte ich mit selbst gebastelten Pfeilen und Bogen Winnetou-Geschichten nach, baute Verstecke aus Geäst und beobachtete manchmal ein Reh, das sich aus dem Wald auf die Wiese traute. Wald wurde mir vertraut und zur Wohlfühlumgebung, im späteren Leben immer wieder genossen z.B. rund um den Hilmteich bei Graz, in der Korneuburger Au, auf dem Weg zum Michelberg bei Stockerau oder heuer auf der Ostsee-Radtour im Gespensterwald kurz vor Rostock.
Auch wenn ich sie nicht umarmen möchte: Bäume sind meine Freunde, der Duft des Waldes und das Grün in vielen Schattierungen sind Reichtümer, die ich nicht missen möchte.

Radtour auf einer aufgelassenen Bahnstrecke von Hamburg nach Lübeck

Adventmail 2024/18 (Farben)

„Das Einzige, was man den handelnden Personen vorwerfen kann, ist, dass sie Trottel sind.“ Das ist das Zitat eines ÖVP-Politikers über ÖVP-Politiker, näherhin das, was der ehemalige Vizekanzler Erhard Busek 2021 als 80-Jähriger, ein Jahr vor seinem Tod, über die Chats zwischen Kurz, Blümel und Schmid (Stichworte: „Kriegst eh alles, was du willst“ und „Ich liebe meinen Kanzler!“). Der christlichsoziale Busek wechselte 1976 vom ÖVP-Generalsekretariat zur Wiener Landespartei, der er gleich mal unter dem Siegel „bunte Vögel“ ein grünes Image gab, noch bevor die Umweltschutz-Bewegung eine politische Partei wurde. Buseks liberaler Kurs machte die Stadtpartei zu einer von der Bundespartei unabhängigen Marke: Er sammelte Querdenker und Quereinsteiger – eben „bunte Vögel“ – um sich und erzielte bei den Wahlen 1978 und 1983 im roten Wien Erfolge, von denen die ÖVP heute nur träumen kann. Erst als Helmut Zilk 1984 Bürgermeister wurde, sank Buseks Stern in der Kommunalpolitik.
Ich Mur-Mürz-Furchen-Spross habe noch kein einziges Mal die Volkspartei gewählt. Und doch gab es immer auch Vertreter:innen, vor denen ich den Hut zog. Hätten die Buseks, Schaumayers, Neissers, Fischlers oder Rieglers dort heute noch das Sagen statt der schwer erträglichen NÖ-Schwarzen, der FPÖ- affinen Landeshäuptlinge und der ethikunbelasteten IV-ler und Wirtschaftsbündler, könnte ich es mir aber vorstellen. Und sollte Othmar Karas bei der nächsten Bundespräsidentschaftswahl antreten (wohl mit türkisem Gegenkandidaten), dann ist meine Stimme für ihn eine ernsthafte Option.
Parteien müssen „bunt“ sein, Vielfalt zulassen und anderen Meinungen mit Respekt begegnen, finde ich. Die Hasspostings und Fake News in Plattformen wie „X“, formerly known as Twitter, nehme ich ausdrücklich davon aus. Bei demokratischen Standards oder Menschenrechten. darf es aber keine Abstriche geben. Stephen Bannons Aufforderung „Flood the zone with shit“ macht bunt zu kackbraun.
Das Schlusswort gebührt dem bunten, überzeugten Europäer Erhard Busek: „Europa hat die moralische Pflicht, Menschen, die in Not sind, Schutz zu gewähren. Alles andere untergräbt unsere Werte.“

Adventmail 2024/17 (Farben)

Bei meinen Recherchen bin ich auf die Behauptung des Farbpsychologen Klausbernd Vollmar in einem SZ-Interview gestoßen, dass Frauen deutlich mehr Farben wahrnehmen können als Männer. Das habe evolutionsbiologische Gründe: „In der Tierwelt sind die Männchen oft viel bunter, um die Weibchen anzuziehen und damit die Fortpflanzungschance zu erhöhen. Deswegen sind Frauen für Farben sensibler. Männer achten mehr auf die Form, Frauen auf die Farbe.“
Tatsächlich sind in vielen Tierarten die Männchen oft auffälliger und farbenprächtiger. Weibchen hingegen sind oft schlichter gefärbt, um sich besser vor Fressfeinden zu tarnen und somit ihre Nachkommen zu schützen. Bei Säugetieren sind männliche Mantelpaviane ein gutes Beispiel dafür: Sie haben ein rotes Hinterteil und eine auffällige Mähne, Weibchen nicht. Oder Pfauen, Stockenten, Paradiesvögel: Die Männchen haben ein beeindruckendes buntes Federkleid, die Weibchen eine unauffällige, braune Farbe. Auch bei Fischen, Reptilien und Insekten gibt es Beispiele für dieses Muster.

Ein schöner (verlängerter) Rücken kann auch entzücken

Männer in bestimmten afrikanischen Stämmen oder in südpazifischen Kulturen legen großen Wert auf Schmuck und Körperbemalung. Wer jedoch heute ins Neujahrskonzert, zum Opernball oder einfach durch die Innenstädte geht, muss den Eindruck gewinnen, dass zumindest in unseren Breiten Frauen mehr Spielraum zu Auffälligkeit und Buntheit haben. Warum eigentlich? Diese Frage beantwortet ChatGPT so: „In vielen europäischen Gesellschaften … wurden Frauen oft als Repräsentantinnen von Familie, Status und Ästhetik betrachtet, was zu einer größeren Betonung auf Kleidung, Schmuck und Make-up führte.“ Und auch Rollenvorstellungen spielen mit: „Während Männer oft durch ihren beruflichen Erfolg oder sozialen Status beurteilt wurden, wurde von Frauen oft erwartet, durch Aussehen und Weiblichkeit zu überzeugen. Dies hat Schönheitsideale stärker auf Frauen projiziert.“

Adventmail 2024/16 (Farben)

Heute – passend zur eben beendeten Schach-WM – eine Art Schachspiel zwischen weißen und schwarzen Figuren. Weiß beginnt sonst immer, ich starte mit …
Roy Black. Der hieß eigentlich Gerhard Höllerich und wurde als Kaufmannssohn und Kriegskind 1943 in der Gegend von Augsburg geboren. Statt sein Betriebswirtschaftsstudium abzuschließen, begann er nach Anfängen als Rock’n’Roller in den 1960er-Jahren eine erfolgreiche Karriere als Schlagerfuzzi. Black nannte er sich wegen seiner schwarzen Haare, Roy wegen seiner Vorliebe für Roy Orbison. Roys Single „Du bist nicht allein“, die manche von euch als Titelmelodie der ORF-Kuppelshow „Liebesgeschichten und Heiratssachen“ kennen, wurde sein erster kommerzieller Erfolg, der Schmachtfetzen „Ganz in Weiß“ 1966 sogar zum Nr. 1 Hit. Schon 1971 verzeichnete Black seinen letzten großen Erfolg mit dem Kinderliedduett „Schön ist es auf der Welt zu sein“.
Danach gings bergab. Über den „Schnulzensänger“ wurde die Nase gerümpft, ORF-GI Gerd Bacher verfügte einen gegen Black gerichteten Schnulzenerlass auf dem noch jungen Sender Ö3, was nicht nur André Heller als „Ent-Roy-Blackisierung“ begrüßte. Sein Millionenvermögen verlor Black durch unredliche Berater, er litt unter Scheidung, Alkoholexzessen, Depressionen, Selbstmord des Vaters. Sein eigener früher Tod 1991 allein und schwer alkoholisiert in einer Fischerhütte war von Suizidgerüchten begleitet. Dass er Probleme mit seinem Image hatte, zeigt sei Lieblingswitz: Wie bekommt man das Gehirn eines Schlagersängers auf Erbsengröße? – einfach aufblasen!
Auch Barry White hieß nicht so, sondern wurde als Barrence Eugene Carter 1944 in Texas geboren. Die große Zeit des übergewichtigen Soul- und Disco-Stars – Spitzname „The Walrus of Love“ – waren die 1970er-Jahre. Wäre interessant, wie viele Liebesakte Barry mit seinem erotisch-sonoren Sprechgesang in Songs wie „Never, Never Gonna Give Ya Up“, „You’re the First, the Last, My Everything“ oder „Can’t Get Enough of Your Love, Babe“ akustisch begleitete. Naja, bei DIESER Stimme … In seiner Autobiografie behauptet Barry, seinen Stimmbruch im Alter von 14 Jahren zweimal hintereinander gehabt zu haben; dadurch sei er erst zum Tenor und dann zum tiefen Bass geworden. Hört mal in das Intro zum von ihm gecoverten Billy-Joel-Hit „Just the way you are“ an: Diese Gottesgabe verhalf dem Crooner zu mehr als 100 Millionen verkauften Tonträgern.
Back to black, in weiblicher Ausgabe: „La Negra“ – die Schwarze – nennen sich gleich drei Sängerinnen aus dem spanischsprachigen Teil der Welt. Toña la Negra (eigentlich Maria Antonia del Carmen Peregrino Álvarez) stammt aus Veracruz und starb 1982 in der Hauptstadt ihres Heimatlandes Mexiko – nach einer gefeierten Karriere als Bolero-Interpretin.
Auf Amparo Velasco, die auch unter La Negra veröffentlicht, stieß ich zufällig auf Spotify. Wo man trotz ihrer beeindruckenden Stimme und ihrer musikalischen Mischung aus Flamenco, Jazz, lateinamerikanischen und afrikanischen Einflüssen kaum was über die aus Alicante stammende Spanierin erfährt. „Hard to categorise but easy to love“ heißt es auf Womax über die Canciones dieser Negra.
Die berühmteste der Negras ist die mit diesem Spitznamen bedachte argentinische Ikone Mercedes Sosa (1935-2009), deren „Gracias a la vida“ mich immer wieder tief berührt. Als Österreichs Kicker 1978 in Cordoba die deutschen Noch-Weltmeister 3:2 putzten und Edi Finger darob dem Herzkasperl nahe war, waren die sozialkritischen Platten der Sosa verboten. Die Militärjunta ließ die Sängerin 1979 bei einem Konzert mitsamt Publikum verhaften, bis zu deren Sturz blieb sie im spanischen Exil. Ihr Konzert im Opernhaus Buenos Aires wird oft als Schlüsselereignis in der Übergangszeit gewertet und steht für eine politische und musikalische Erneuerung der argentinischen Kultur – Gracias a la Sosa!
Der nächste „Weiße“ ist ein Weltenbürger. Roberto Blanco – er heißt wirklich so – wurde 1937 in Tunis als Sohn eines kubanischen Künstlerpaars geboren. Als Halbwaise wuchs er zunächst in Beirut auf, wo er als einziger Junge in einem von Nonnen geführten Mädcheninternat erzogen wurde, danach bis zum Ende der Schulausbildung in Madrid. 1956 kam er mit seiner Familie nach Deutschland, wo er Schlagerstar und 1971 eingebürgert wurde. Einen Skandal gab’s, als sich Roberto nach 50 Jahren von seiner Schweizer Frau Mireille trennte und eine 42 Jahre jüngere Kubanerin heiratete. Dass er in finanzielle Turbulenzen geriet und sich Unterhaltszahlungen entzog, griff Roberto gemäß seinem größten Hit „Ein bisschen Spaß muss sein“ selbstironisch in der Video-Parodie „Ein bisschen spar’n muss sein“ auf.
Der letzte Schwarz heißt Berthold und war angeblich ein Franziskaner und Alchemist im 14. Jahrhundert aus Freiburg im Breisgau. Er gilt heute unter Historikern als fiktive Gestalt und die ihm zugeschriebene Erfindung von Schwarzpulver und Kanonen als Legende. Aber die erzählt sich gut:
Bei chemischen Experimenten zerstampfte Berthold in einem Mörser Salpeter, Schwefel und Holzkohle, stellte diesen mit dem Stößel zusammen auf den Ofen und verließ den Raum. Kurze Zeit später großes Karacho. Die herbeigeeilten Ordensmänner stellten fest, dass der herausgeschleuderte Stößel so fest in einem Deckenbalken steckte, dass er selbst nach Berühren mit den Reliquien der heiligen Barbara nicht herausgezogen werden konnte. Anschließend dienten die verwendeten Mörser bzw. Töpfe Berthold als Vorlage für erste primitive Kanonen. Auf diesen Vorfall sollen die Bezeichnung für das (längst davor in China erfundene) Schwarzpulver, der Name „Mörser“ für kurzläufige Steilfeuergeschütze und die heilige Barbara als Schutzpatronin der Artilleristen zurückgehen.
Kurz erwähnt seien noch Jack White, Mastermind der Garage-Rock-Band The White Stripes („Seven Nation Army“!), und Jack Black, exaltierter Sänger und Schauspieler („School of Rock“).
Zuletzt noch ein rockiger Schwarzweiß-Ausklang auf Spotify.