Gleich vorweg. Es gibt unter der Vielzahl an Filmen über den Jakobsweg deutlich bessere. Z.B. die Komödie „St. Jacques – pilgern auf französisch“ (2005), „Dein Weg“ mit Martin Sheen (2010) und die im deutschsprachigen Raum bekannte Kerkeling-Adaption „Ich bin dann mal weg“ (2015).
Die australische Variante stammt vom Filmemacher Bill Bennett (dargestellt von Chris Haywood), der nicht mehr der Jüngste ist, ein lädiertes Knie hat, aber keine wirklichen Erfahrungen mit dem Wandern. Und: Er weiß auch nicht so wirklich, warum ihn der Jakobsweg so sehr fasziniert, seitdem er während eines Spanienurlaubs mehrere Pilger:innen gesehen hat. Ungeachtet der Skepsis seiner Frau plant er alles minutiös, trainiert, und fliegt nach Biarritz. Es dauert nicht lange, bis Bill mit ersten gesundheitlichen Problemen zu kämpfen hat. Und auch der Umgang mit den Menschen, denen er unterwegs begegnet, gestaltet sich zuweilen schwierig. Denn Bill ist ein Sturkopf, der zunächst nicht glauben will, dass er mit Teleskopstöcken besser unterwegs ist als mit einem knorrigen Holzstock.
Bis auf wenige Hauptfiguren sind die Personen im Film wirkliche Pilger (was die Dramaturgie nicht unbedingt verbessert), es gibt einige sehenswerte Landschaftsaufnahmen und tlw. skurrilen Humor (so legt Bill seine Unterhosen auf die Küchenwaage, um sicherzustellen, dass das Reisegepäck nicht schwerer wird als zehn Prozent seines eigenen Gewichts). Der Film unterhält, nachdenklich macht er nicht. Und das vermehrt Tiefgründige gegen Ende der Wanderung wirkt aufgesetzt. So etwa, wenn Cristina Bill unter Tränen offenbart, dass sie sich am Suizid eines geliebten Menschen schuldig fühlt und den Jakobs- als Bußweg betrachtet. Dazu Bill: „Der Beichtstuhl auf diesem Camino sind die Wege, die wir gehen, und die Gespräche, die wir mit Fremden führen. Wir schütten ihnen unser Herz aus und erzählen ihnen unsere schlimmsten Ängste.“ Nunja.
Archiv für den Monat: April 2025
Kirche zu verkaufen: Wenn Gotteshäuser nicht mehr gebraucht werden
(Die Furche, 24.4.25) Diskos, Boulderhallen, oder Buchhandlungen: Europaweit nehmen Umwidmungen von Kirchen zu. In Österreich geht man bei „Profanierungen“ einen behutsameren Weg als anderswo. Aber auch hierzulande gibt es ungewöhnliche Nach- bzw. Doppelnutzungen.
Erwachsene – und auch Kinder –, die gern in die Kirche gehen; denen die Lebensfreude ins Gesicht geschrieben ist; die mit ausgebreiteten Armen immer wieder abheben und Richtung Himmel schweben. Nein, das ist kein Traum eines Pfarrers von einer gelungenen Messfeier, sondern Realität in der Kirche im niederländischen Hilversum. Wo allerdings keine Gottesdienste mehr gefeiert werden, sondern sich Groß und Klein im Trampolinpark vergnügen.
Diese Szenerie in Hilversum dient immer wieder der Veranschaulichung, wenn es um das Thema Kirchenverkäufe bzw. -umwidmungen geht. In vielen Ländern Europas gibt es zu viele Kirchengebäude für immer weniger Gläubige. Die nicht mehr liturgisch genutzten, „profanierten“ Häuser werden u.a. zu Geschäften, Hotels, Kulturveranstaltungssälen, Musikclubs, Kindergärten, Kletterhallen. In den protestantisch geprägten Niederlanden oder auch im anglikanischen Großbritannien hat man bei der Nachnutzung nicht mehr gebrauchter oder leistbarer Objekte weniger Skrupel als im deutschsprachigen katholischen Bereich. Hier gilt die Kirchenrechtsbestimmung (CIC Can. 1222) über den „profanen, aber nicht unwürdigen Gebrauch“ aufgelassener Kirchen… (mehr unter www.furche.at)
Science Busters For Kids, 18.4.25, Stadtsaal Wien ****
Eine gemeinsame Unternehmung mit meinen Geburtstagsenkeln Jakob (11 seit 7.4.) und Nathan (9 seit 6.4.), die uns dreien viel Spaß machte: Molekularbiologe Martin Moder und Sich-blöd-Steller Martin Puntigam in einer unterhaltsamen Doppelconference über Staunenswertes aus der Naturwissenschaft. Es gab einen brennenden Unterarm u.a. Extremhitzeexperimente, Informationen über Methan, das als Darmwind entzündbar ist, eine in flüssigen Stickstoff getauchte Rose, deren Blätter danach in 1000 Stücke zersprangen, einen kräftigen Tritt auf eine Tube Senf, deren Inhalt dann meterweit herausspritzte, einen Vorschlaghammerschlaf auf Moders durch Ziegelsteine und Holzbrett geschützten Rumpf und den Tipp, nicht mit einer geballten Faust zuzuschlagen, in der die Finger den Daumen umschließen (Knochenbruchgefahr!) – mit einem Wort: höchst nützliches, alltagstaugliches Wissen, garniert mit viel Humor. Jakob und Nathan haben viel gelacht, die eineinhalb Stunden vergingen schnell.
Gemeinsam Zeit zu verbringen ist für die zweite Generation nach mir und auch für mich ein besseres Geschenk als Bücher und Lego Technik, finde ich. So will ich es weiter halten…
„Köln 75“ (Ido Fluk, D/Pl/B 2024) *****
Nach dem Kino gleich mal im Internet über Keith Jarrett, sein legendäres Köln Concert, über Organisatorin Vera Brandes recherchieren und auf Spotify die lange nicht mehr gehörten Klaviertöne des Tastenmeisters anhören… nicht das schlechteste Zeugnis für einen Film, oder? Dazu regte der in New York lebende Ido Fluk mit seinem an historische Ereignisse anknüpfendem Spielfilm mit Doku-Einsprengseln an.
Es geht darin um zweierlei Improvisationen: einerseits um Keith Jarretts Solokonzerte mit davor und danach nie gehörter Klaviermusik, geboren im Augenblick der Darbietung im Konzertsaal. Höhepunkt dabei: Das Konzert in Köln vor 50 Jahren, das zur immer noch meistverkauften Jazzsoloplatte führte, die auch ich irgendwann in meiner musikaffinen Studenten-WG in Graz kennenlernte. Und andererseits die unfassbaren Umstände, unter denen die damals 18-jährige (!) Vera Brandes diesen legendären Auftritt ermöglichte. Sie buchte für 10.000 D-Mark, die sie zunächst nicht hatte, die Kölner Oper an einem Jännertag um 23 Uhr für das Konzert eines damals nicht gerade in Topform befindlichen (Rückenprobleme, Schlafmangel, Finanznot) Genies, der am Schauplatz ein schadhaftes Instrument vorfand und meinte: „Darauf spiele ich nicht!“ Wie Brandes mit diesen und anderen Hindernissen fertig wurde, ist ebenfalls Improvisation auf höchstem Niveau.
Der Film atmet auf höchst unterhaltsame Weise den Geist der 70er mit Women’s Lib, Jazz, freier Liebe, Rebellion gegen enge Bürgerlichkeit als Begleitmusik. Und es bringt einen Musiker näher, dessen Hingabe an die Eingebung des Moments zwar durch Huster im Publikum leicht störbar ist, dabei aber Töne wie ein impressionistisches Meisterwerk von Monet hervorbringt und sich die Seele aus dem Leib spielt. Ob er denn nicht manchmal Angst habe, dass der Musenkuss bei einem Auftritt ausbleiben könnte, wird er im Film gefragt. Jarretts Antwort: „Jeden Abend.“
Heinrich Steinfest: Sprung ins Leere. Piper 2024 ***
Als neuer „Roman des großen Lebensphilosophen Heinrich Steinfest“ wurde das Buch angekündigt – und was ist der österreichisch-deutsche Erfolgsautor nicht noch alles: bildender Künstler, Fernost-Kenner, passionierter Läufer, zwanghafter Aufräumer, Film- und Kunstliebhaber. Und diese vielen Qualitäten zu bündeln ist nicht leicht, zumal wenn man – wie Steinfest – einen Hang zu, sagen wir, originellen Formulierungen und Sprachbildern hat. Allerdings lassen mich Sätze wie „Ihre Kondition war wie ein kräftiger, erlösender Regen, der an Gewittertagen die schwüle Stickigkeit aus der Luft presste“ die Augen verdrehen und machen mich bei der spätabendlichen Lektüre schnell müde. Über die Hauptfigur teilt Steinfest mit, es sei nicht so, „dass ihre Augen durch den Wechsel von kaltem Grün und kalten Blau bestachen. Klaras wirkliche Augenfarbe war Braun, helles Braun, ein Braun ohne Umstände“. So was zu lesen hemmt meine Pageturner-Lust und bewirkt, dass ich an dem von meiner Schwester empfohlenen Buch mehr als einen Monat herumlas.
Die Handlung? Klara Ingold, Saalwächterin im Wiener Kunsthistorischen, macht sich mithilfe eines vertraut gewordenen Stammgastes des KHM auf die Suche nach ihrer vor 70 Jahren verschwundenen Großmutter, einer Künstlerin. Die Spur führt nach Wuppertal, Japan und zurück nach Österreich auf den Semmering, wo sie die Gesuchte als erblindete 94-jährige Köchin (!) in einem Altersheim endlich findet. Der Plot ist voll von Unwahrscheinlichkeiten wie der angebotenen Hauptrolle in einem japanischen Arthaus-Film, Geheimdiensten, Sumo-Ringern oder Zeitreisen, zudem von einer kaum zu bändigenden Gelehrsamkeit des Autors, die er sogar in Fußnoten ausbreiten zu müssen meint.
Das ficht Steinfest nicht an, denn – wie er kurz vor dem überraschenden Ende des Romans schreibt: „… der nüchterne Betrachter mag beklagen, dass hier gewisse Handlungen einiger Logik und Vernunft entbehren … Andererseits stammt das Fehlen von Logik und Vernunft geradezu aus der Ursuppe menschlichen Verhaltens“. Mag sein. Aber Steinfests Suppe muss nicht jedem/r schmecken. Mir z.B. nicht so richtig. Immerhin macht das Buch Lust, die beschriebenen Gemälde im KHM anzusehen…
Ö1-Podcast „100 Songs – Geschichte wird gemacht“ ******
Seit ich in Pension bin, höre ich öfter als früher Podcasts. Mit großem Interesse etwa die mittlerweile auf 44 Folgen angewachsene Ö1-Reihe „100 Songs – Geschichte wird gemacht“. Stefan Niederwieser und Co-Host Robert Stadlober beleuchten dabei meist bestens, manchmal auch wenig bekannte Beispiele der populären Musik und stellen sie kulturhistorisch spannend in den Zeitkontext ihrer Entstehung. Heute erfuhr ich über „My Sweet Lord“ von George Harrison Hintergründe, die auch ich als ausgewiesener Beatles-Fan noch nicht wusste – z.B. dass dieser Mantra-Popsong, auf den ich 1970 als Elfjähriger voll abfuhr, bis heute der meistgestreamte aller „Beatles“-Songs nach deren Trennung ist, noch vor Lennons „Imagine“.
Und zwei weitere, knapp 20 Minuten lange Folgen der „100 Songs“ hörte ich mir an: Mit „Surfin‘ USA“ der Beach Boys reiste ich zurück ins unbeschwerte California der Sixties, „Oblivion“ der Techno-Feministin Grimes eröffnete mir die beachtenswerte kanadische Musikszene der Gegenwart. Schon früher staunte ich über das, was die beiden Ö-Einser über so verschiedene Lieder wie „Lili Marlen“, Shakiras „Waka Waka“ oder Moricones „The Good The Bad and The Ugly“ zu berichten wussten. Und immer lassen sie auch internationale Fachleute über die Songs zu Wort kommen.
Es ist ein bisschen wie die Pop-Version des Kult-Podcasts „Geschichten aus der Geschichte“ (GAG) der beiden Historiker Richard Hemmer und Daniel Meßner. Die halten allerdings schon bei Folge 498, und ich finde, es muss durchaus nicht bei 100 Songs bleiben…
„No Other Land“ (Basel Adra, Hamdan Ballal, Yuval Abraham, Rachel Szor; Palästina/Norw. 2024) ****, 12.4.25
Masafer Yatta ist eine Region südlich von Hebron im von Israel seit 1967 besetzten Westjordanland. In den dortigen kleinen Dörfern leben seit Generationen Palästinenser – und leiden unter der Besatzungsmacht. Als die israelische Armee genau dort einen Truppenübungsplatz anlegt, beginnen Bulldozer sukzessive Häuser der Einheimischen zu zerstören, und jeder Wiederaufbau wird als illegal verhindert. Sogar ein für die Landwirtschaft lebenswichtiger Brunnen zugeschüttet, Übergriffe vermummter Schlägertrupps israelischer Siedler in der Westbank bleiben ungeahndet, ja werden sogar von der Armee unterstützt.
Der Dokumentarfilm des Journalisten und Aktivisten aus dem betroffenen Gebiet, Basel Adra, und dem israelischen Journalisten und Menschenrechtler Yuval Abraham ist schwer erträglich – oder besser: das mit oft wackeliger Handykamera festgehaltene himmelschreiende Unrecht ist es. Unmittelbar gezeigt wird die vom Obersten Gerichtshof Israel als legal erklärte Zerstörung von Existenzen bis hin zum Einsatz von Waffengewalt, das Niederwalzen einer Schule, eines Spielplatzes, eines Ziegenstalls und Taubenverschlags, willkürliche Festnahmen, die Aussichtslosigkeit der Versuche, sich Recht zu verschaffen – und das trotzige Festhalten der Palästinenser an ihrer Heimat, selbst wenn sie ihre Wohnstatt in primitive Höhlen verlegen müssen. Denn, wie sie sagen, sie haben „no other land“; wohin sollten sie gehen?
Sowas zu sehen, macht wütend und frustriert, und die Authentizität des Gezeigten betrifft und lässt fragen, wie solche Wunden, so geschürter Hass jemals heilen soll(en). Basel Adras Doku wurde 2025 mit einem Oscar ausgezeichnet, der Preis bei der Berlinale 2024 war begleitet von einer Antisemitismusdebatte, nachdem Yuval Abraham die „Apartheid“-Politik der Regierung Netanjahu kritisierte und danach in seinem Heimatland mit Morddrohungen konfrontiert war.
Und von einer US-Regierung, die solchem Treiben ein Ende setzen würde, sind wir ähnlich weit entfernt wie von der österreichischen Vermittlungspolitik eines Bruno Kreisky in den 1970er Jahren…
Altweibersommer (Pia Hierzegger, A 2025) ****, 3.4.25
Elli, Astrid und Isabella sind drei Frauen Ende 40, die früher in einer Wohngemeinschaft zusammenlebten und seit Jahren im Spätsommer miteinander urlauben. Diese Zeit meint der Titel „Altweibersommer“, für weiter reichende Assoziationen sind die Protagonistinnen zu jung. Und ihre Lebenssituation ist sehr unterschiedlich: Elli, gespielt von Regisseurin und Drehbuchautorin Hierzegger), hat krebskrank gerade eine Chemotherapie hinter sich und nagt an der überraschenden Schwangerschaft ihrer Tochter; Astrid (Ursula Strauss) ist eine überbeanspruchte „Helikopter-Gattin“; Isabella (Diana Amft) eine Kellnerin, die gerne Karriere als Schauspielerin gemacht hätte.
Der gemeinsame Campingurlaub am verregneten Erlaufsee wird zum Reinfall, es gibt Konflikte, Ärger mit einem xenophoben Macho und einen Todesfall. Der wiederum ist Anlass für einen Ortswechsel an den Lido von Venedig.
Hierzeggers sehr österreichische Tragikomödie punktet durch genaue Charakterzeichnung, amüsante Dialoge im Stile Josef Haders (der Partner der Regisseurin kommt in einer kleinen Nebenrolle vor) und durch originelle Wendungen der Handlung. Fazit: Hätte mir den Film nicht ausgesucht, die KiMi-Mehrheit hat entschieden. Und ich wurde nicht enttäuscht. Gute Unterhaltung, die noch besser ins Hauptabendprogramm von ORF1 passen wird.