Das Leben – eine Perlenkette

Da sind das Lob, das aus dem Klassenwinkerl befreite, ein Wiedersehen am Bahnhof von San Remo, die Geburt eines, der es eilig hatte, und der Sonnenaufgang an höchsten Berg im Indischen Ozean. Lauter Glücksmomente, aus denen Robert Mitscha-Eibl (58), Redakteur der „Kathpress“, seine Schlüsse zieht…
„Jeder ist seines Glückes Schmied“ ist gängiges Sprichwort; „des Glück is a Vogerl“ eine andere, der ersteren fast entgegengesetzte Wienerische Weisheit. Es geht um die Frage: Kann man Glück „machen“ – oder muss es einem in den Schoß fallen? Und welches von beiden ist befriedigender? Das durch eigenes Zutun, durch Leistung erlangte Glück, oder jenes, das sich wie ein (unverdientes?) Geschenk anfühlt?
Ich lass das mal offen und sammle persönliche Glücksmomente:
O Ich war neun und ging in meiner steirischen Heimat in die vierte Klasse Volksschule. Und ich stand im Winkerl, als Frau Lehrerin Fuchs die letzten Diktate austeilte. Hatte irgendetwas angestellt, an das ich mich beim besten Willen nicht mehr erinnere. Frau Fuchs war fast schon am Ende, als sie mit einem Lächeln sagte: „Einer in der Klasse hat ‚Thron‘ mit ‚h‘ geschrieben, wie es auch gehört, weil es ein altes Wort ist. Der steht da hinten im Winkerl und kann sich jetzt wieder setzen. Bravo.“ Ich freute mich wie ein Schneekönig.
O Ich mit 20 auf meinem ersten Ferienjob im Ausland. Als Hendlgriller in einem Wienerwald-Restaurant in München lernte ich Grazer Jungstudent eine Wiener Theologin kennen. U.a. beim Gitarrespielen an der Isar verliebten wir uns ineinander und beschlossen, zumindest einen Teil des Urlaubs gemeinsam zu verbringen. Doris (das – wie passend! – „Gottesgeschenk“ bedeutet) hatte mit einer Freundin schon einen Surfurlaub auf Korsika vereinbart und wollte sie nicht hängen lassen, wie sie sagte: „Aber wir können uns am 12. September um 15 Uhr am Bahnhof von San Remo an der italienischen Riviera treffen und dann noch die Cote d’Azur entlang…“ Drei elendig lange Wochen und einige Briefe später fuhr ich mit der Bahn nach Italien. Handys gab’s längst noch keine. Doch als ich mich zur vereinbarten Zeit am Bahnsteig von San Remo umsah, flog sie mir schon entgegen, Doris, mit wehenden Haaren und Strahlen im Gesicht.
O Ich mit 27, ein werdender Vater. Neben mir im Auto meine hochschwangere Frau Claudia in den Wehen. Die Fruchtblase platzte, Stress pur: Geht sich der Weg ins Geburtshaus Nussdorf trotz des Morgenverkehrs am Gürtel noch aus?! Es ging sich. Eine halbe Stunde nach dem Eintreffen erblickte Gregor das Licht der Welt, der erste meiner drei Buben. Ich war bei allen dabei und staunte bei jedem über dieses Wunder, dass da plötzlich ein winziges Menschlein in mein, in unser Leben tritt. Gregor durfte ich abnabeln und dann baden, während Claudia sich erholte – ein intimer Moment prallvoll mit Glück. Später lagen wir zu dritt nebeneinander im Gästebett des Geburtshauses, abseits jeder Spitalsatmosphäre, und die beiden Erwachsenen hatten Tränen in den Augen. Der Kleine büselte.
O Ich reise viel und gerne. Z.B. vor drei Jahren auf die Insel La Réunion, wo ich mit einer mir davor unbekannten Gruppe von Aktivurlaubern durch die herrliche, vulkanisch geprägte Landschaft wanderte. Ein Ziel war der Piton des Neiges (frz. „Schneegipfel“), die mit 3070 m höchste Erhebung im Indischen Ozean. Wir mussten früh raus, stiegen mit Stirnlampen 1000 Höhenmeter auf noch nächtlich vereisten Wegen auf, um rechtzeitig zum Sonnenaufgang am Gipfel zu sein. Und der Feuerball erhob sich bald aus dem Morgendunst, unter mir Nebelschwaden, über mir Bergdohlenkreischen und neben mir lauter Gesichter, die ohne Worte „Wow!“ sagten.
Damit lass ich’s gut sein, obwohl mir noch viele weitere Perlen in meiner persönlichen Glücksmomentkette einfallen, die fast immer beides beinhalten: einerseits die Anstregung, ja Mühsal sowie die Freude daran, andererseits die Gewissheit, diese I-Tüpfelchen im Leben nicht selbst setzen zu können, angewiesen zu sein auf andere. Letztere schafft eine Dankbarkeit, die der große Mystiker David Steindl-Rast nicht umsonst als grundlegend für jede Gottverbundenheit und Spiritualität erachtet.
Und noch was: Nicht missen möchte ich auch die düsteren Kapitel in meinem Leben, die erst dafür sorgen, dass Höhenflüge auch als solcher erkannt und nicht als Erfolgsmarathon nivelliert werden. Sie sorgen auch dafür, dass ich mich immer wieder und gerade in Zeiten schwindender Solidarität gegenüber den Bedürftigen an folgendes Prinzip einer christlich-humanen Weltsicht erinnere: Wahres Glück gedeiht nicht neben dem Unglück anderer.

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