„Nebelkinder“ sind – das wusste ich bisher nicht – Kinder von Kriegskindern des Zweiten Weltkriegs. Der Begriff beschreibt Personen, die durch während der NS-, Kriegs- und frühen Nachkriegszeit von ihren Eltern erlittene, unverarbeitete psychische Traumata indirekt traumatisiert wurden. Z.B. Vergewaltigung und Vertreibung im Zuge der Ereignisse in Mähren im Jahr 1945 und danach.
Kotyks anfangs trotz meditativer Bilder sperriger Film (worum geht’s da eigentlich?!) zeigt neben der Titelfigur, der Wolfshüterin Hannah, auch deren Mutter Miriam und in Rückblenden auch ihre Großmutter Viktorie und deren Ausgrenzung als deutschsprachige Österreicherin noch vor der „Befreiung“ Tschechiens durch die Rote Armee. Die Gastwirtin Viktorie blieb als einzige in einem südmährischen Dorf, andere deutschsprachige Bewohner flohen oder wurden ermordet. Auf der Suche nach einem aus dem Wildpark Ernstbrunn (NÖ) entlaufenen Wolf gelangt Hannah just in jenes Dorf, wo ihre verbitterte Mutter inzwischen das in den 1990er Jahren in verwahrlostem Zustand restituierte Heimathaus restauriert.
Es wird immer deutlicher, wie sehr die vergangenen Kriegsereignisse Spuren in den Seelen der Generationen danach hinterließen, die von der Freiheit der grenzüberschreitenden Wölfe nur träumen können. Die Gewalterfahrungen ihrer Vorfahren legen sich wie ein Nebel auf das Leben der im Film schemenhaft bleibenden Nachkommen…
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Altweibersommer (Pia Hierzegger, A 2025) ****, 3.4.25
Elli, Astrid und Isabella sind drei Frauen Ende 40, die früher in einer Wohngemeinschaft zusammenlebten und seit Jahren im Spätsommer miteinander urlauben. Diese Zeit meint der Titel „Altweibersommer“, für weiter reichende Assoziationen sind die Protagonistinnen zu jung. Und ihre Lebenssituation ist sehr unterschiedlich: Elli, gespielt von Regisseurin und Drehbuchautorin Hierzegger), hat krebskrank gerade eine Chemotherapie hinter sich und nagt an der überraschenden Schwangerschaft ihrer Tochter; Astrid (Ursula Strauss) ist eine überbeanspruchte „Helikopter-Gattin“; Isabella (Diana Amft) eine Kellnerin, die gerne Karriere als Schauspielerin gemacht hätte.
Der gemeinsame Campingurlaub am verregneten Erlaufsee wird zum Reinfall, es gibt Konflikte, Ärger mit einem xenophoben Macho und einen Todesfall. Der wiederum ist Anlass für einen Ortswechsel an den Lido von Venedig.
Hierzeggers sehr österreichische Tragikomödie punktet durch genaue Charakterzeichnung, amüsante Dialoge im Stile Josef Haders (der Partner der Regisseurin kommt in einer kleinen Nebenrolle vor) und durch originelle Wendungen der Handlung. Fazit: Hätte mir den Film nicht ausgesucht, die KiMi-Mehrheit hat entschieden. Und ich wurde nicht enttäuscht. Gute Unterhaltung, die noch besser ins Hauptabendprogramm von ORF1 passen wird.
„Like a complete unknown“, James Mangold (US 2024) **** 5.3.25
Ich sah „Ray“, „Rocketman“, „Bohemian Rhapsody“, und „Like a complete Unknown“ reiht sich in diese Liste gelungener Filme über Musikstars (Ray Charles, Elton John, Freddy Mercury) bestens ein. Diesmal geht es um den jungen Bob Dylan, von Timothée Chalamet oscarwürdig und auch sängerisch überzeugend dargestellt als anpassungsunwilliger Genius. Dylan kommt noch als Teenager nach New York, besucht sein nervenkrank dahinsiechendes Idol Woody Guthrie im Spital, wo auch Pete Seeger dem Folk-Veteranen huldigt. Auch Joan Baez, einige Monate älter als Bob und schon ein Star der Folk-Szene, gerät in den Bann des Riesentalents aus dem mittleren Westen, der großartige Songs nur so aus dem Ärmel schüttelt.
Zum Sympathieträger wird Dylan in dem Film ja nicht. Beziehungsunfähig, renitent, provozierend, sich jeder Erwartung und jedem „Hit-Abspulen“ verweigernd, bleibt er als schwieriges Genie irgendwie unberechen- und undurchschaubar. Und beim Auftritt Dylans auf dem Newport Folks Festival kommt es 1965 zum Eklat. Er bleibt a Complete Unknown…
Zum 80er von Joan Baez 2021 kam eine Biografie heraus, in der sie auch auf die Beziehung zu Bob Dylan eingeht. Die kenne ich nicht – leider. Muss nachgeholt werden. Vor dem Oeuvre des einzigen Nobelpreisträgers aus der Welt der populären Musik kann ich mich nur verneigen.
„Es liegt an dir, Cheri“ (Florent Bernard, F 2024) *** 22.1.25
Der Mann hoch an einem Kinomittwoch mit Verlegenheitslösung. In „Falter“ hieß es über diese „Komödie mit melancholischem Einschlag“, dass sie „mehr bietet, als der Titel verspricht“. Aber seien wir ehrlich, der Burner war der typisch französische Film nicht. Und Charlotte Gainsbourg hatte schon weit bessere Rollen als diese Sandrine, die sich nach 20 Ehejahren von ihrem Mann und Christophe (José Garcia) trennen möchte. Der bittet um einen gemeinsamen Wochenendausflug mit den beiden fast erwachsenen Kindern als letzte Chance. Es geht an Orte, die im Leben der Familie eine wichtige Rolle spielten. Christophe benimmt sich dabei recht deppert, und die nostalgische Reise lässt die Probleme eher hervortreten, als dass sie den Zusammenhalt stärken würde. Das alles mündet in eine versöhnliche Trennung und einen Reifungsprozess der Teenager-Kinder – und zu einem After-Film-Talk unter drei Männern mit Tiefgang.