Zugegeben, sie war kurz, meine Theaterkarriere. Genau genommen bestand sie in einem zehnminütigen Probeauftritt, für den ich gerade mal ein Dutzend Sätze zu lernen hatte. Der jedoch barg durchaus Dramatik. Immerhin sagte Pia Hierzegger zu mir und ich zu ihr, dass wir einander lieben, sie sank vor mir auf die Knie, nachdem sie mich mit Nudeln beworfen hatte…
Aber der Reihe nach: Meine Freundin Martina hatte mich auf eine Ausschreibung für die Wr. Festwochenproduktion „The Second Woman“ aufmerksam gemacht, für die Männer unterschiedlichen Alters gesucht wurden. Auch schauspielerisch unbedarfte. „Die australischen Regisseurinnen Nat Randall und Anna Breckon lassen eine Frau mit 100 verschiedenen Männern sowie queeren und nicht-binären Menschen aus Wien nacheinander dieselbe emotionale Beziehungsszene spielen.“ So das Konzept.
Ich meldete mein Interesse an, absolvierte erfolgreich ein Online-Casting und bekam eine Einladung zu einem Probetermin im Wiener Museumsquartier. Das war gestern, am 20. Mai. Dort stellte sich heraus, dass die Probe nicht für mich – und die Dutzenden anderen zu diesem Zweck bestellten Männer – angesetzt war, sondern für Pia Hierzegger. Sie sollte sich auf den Theatermarathon am 28./29. Mai vorbereiten, wenn sie in 24 Stunden mit nur wenigen Pausen 100 andere Männer bespielen sollte. Wir „Probemänner“ wurden nicht mehr gebraucht.
Was ich schade fand. Vor dem Probelauf hieß es, wir könnten gar nichts falsch machen. Profi Pia würde Textunsicherheiten schon „auffangen“, auf Unvorhergesehenes reagieren, wir könnten somit ruhig das Textkorsett lockern und Platz für Improtheater lassen. Ich – eingestellt auf eine Probe vor dem „großen“ Auftritt in der MuQua-Halle E – war durch diese Info in Pfeifdrauf-Stimmung und mit einem Schlag null nervös.
Als ich dran war, stand Pia Hierzegger mit dem Rücken zu mir in einem mit Klebebändern markierten Raum, in dem ein Tisch und zwei Sessel, eine Art Hausbar und eine Kommode mit Musikabspielgerät standen. Auf ein Zeichen der Regisseurin hin „trat ich ein“, entschuldigte mich für mein Zuspätkommen wegen eines Treffens mit meiner Ex-Frau, bei dem anstehende Feste für die erwachsenen Söhne zu besprechen waren – so mein selbst erfundener Einstieg. Pia gab – wie im Skript vorgesehen – die enttäuschte Geliebte mit Sätzen wie „Ich genüge dir nicht“ und „Es macht nichts, dass du mich nicht mehr attraktiv findest“. Was ich der Vorgabe entsprechend abstritt und ihr einen beschwichtigenden Kuss gab. Es folgte ein Zornesausbruch mit meinen mitgebrachten Fastfood-Nudeln, ein halbherziger Tanz zur von Pia aufgedrehten Musik und ihr Schlusssatz „Du gehst jetzt besser!“, zu dem sie mir die 50 vertraglich zugesicherten 50 Euro Aufwandsentschädigung aushändigte.
Ich hatte für meinen Schlusssatz die Wahl zwischen „Ich liebe dich“ und „Ich hab dich nie geliebt“.
Nun ja. Ob es für das Publikum reizvoll wird, sich diese Episode einer Liebessackgasse in 100 Varianten anzusehen, sei dahingestellt. Für spontanen Witz und originelle Abweichungen ist wenig Raum. Frau Hierzegger beneide ich ja nicht darum, ab 18 Uhr am 28. Mai 24 Stunden lang (mit kurzen Pausen) auf der Bühne zu stehen, beim Tanzen zu Boden zu sinken und davor mit Essen zu werfen. Sie fühlte sich bei der Probe schon etwas müde an. Karten gibt es für „The Second Woman““, das auch schon anderswo aufgeführt wurde, übrigens keine mehr.