Die Romantik-Literatur und -Malerei der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts liebte das Motiv des Wanderns. Vielleicht kennt Ihr Bilder von Caspar David Friedrich wie „Wanderer über dem Nebelmeer“. Als Germanistik-Student las ich z.B. Joseph von Eichendorffs „Aus dem Leben eines Taugenichts“. In dieser Novelle schickt ein Müller seinen Sohn, der bei der Arbeit zu nichts nütze ist, hinaus in die weite Welt. Dieser verlässt fröhlich mit der Geige im Gepäck sein Dorf, ohne klares Ziel vor Augen. Widerspruchsgeist gegen das konventionelle Leben zuhause ist in dieser Epoche ebenso verbreitet wie der bis zur Torheit reichende Idealismus der zwischen Fern- und Heimweh schwankenden „Helden“. Auch die Natur erscheint idealisiert, mit Fabelwesen wie Feen und Gespenstern oder der Blauen Blume als Unendlichkeitssymbol.
Anfang der 1990er-Jahre schrieb ich mal eine romantische Ballade zu einer hübschen Melodie meiner ersten Frau Claudia, die 1992 ihre erste CD veröffentlichte. Wir nannten das gemeinsame Opus „Ballade vom Wanderer und der Hexe“, und mein Text in bewusst altertümelnder Sprache geht so:
Kam dereinst in ein Dorf ein Wandersmann / In der Schenke der Wirt trat an ihn heran: / „Gott zum Gruß! Wohin des Wegs?“ / „Immer grad nach Norden geht’s.“ / „Ei, so meidet das Tal dort drunt’ still und schmal!“
Denn dort lebt eine Hexe mit Teufelsmacht. / Manchen Junker hat sie schon um sein Heil gebracht. / Sie will jeden betör’n, / keinem einzigen gehör’n, / wilde Tiere fürchten sie, / ihre Blumen welken nie.“
„Des Wirten Wort war dem Wanderer einerlei, / denn er fürchtet’ nicht Tod noch Hexerei./ Nach dem Aufbruch alsbald / kam er an ein Haus im Wald, / und gar lieblich ihn dünkt / das Weib, das ihm winkt.
Viele Tage er blieb bei dem schönen Weib, / seine Seele sie labte und auch den Leib. / Vor dem Haus sah er steh’n / eine Blume blau und schön, / allezeit blühte sie und welkte nie. /
Schließlich wollte der Wanderer weiterzieh’n. / Von dem Weibe der Abschied war schwer für ihn. / Sie sprach: „Ich leb allein, / will nicht eingemauert sein, / bin mit jedem versöhnt, / der Freiheit gewöhnt.“
Als nach Jahren der Wanderer wiederkam, / was er sah, ihm vor Schrecken den Atem nahm: / Alle Pflanzen verheert, / und die Hütte zerstört! / Er besann sich nicht lang, / lief ins Dorf voller Bang.
Dort brannten die Scheiter im Abendrot, / und das Volk johlte ringsum: „Die Hex‘ ist tot!“ / Schweigend stand im Geschrei / ein feins Mägdlein dabei, / die blaue Blume fürwahr / trug sie im schwarzen Haar. / Allezeit blühte sie und welkte nie.
