Adventmail 2022/16 (Reisen)

Ich bin auch gern mal alleine unterwegs, wie Ihr schon wisst. Würde ich das auch sagen, wäre ich eine Frau? Eine, die allein reisend deutlich größeren Gefahren ausgesetzt ist, deren Alleinsein für manche Männer geradezu Einladung ist? Die in manchen Kulturen gar zum Freiwild würde? Wohl kaum.
Deshalb verneige ich mich in diesem Adventkästchen vor Alexandra David-Néel, Französin, Weltreisende, frühe Feministin und 1924 die erste westliche Frau, die Lhasa, die Hauptstadt Tibets, erreichte. Geboren wurde Alexandra 1868 in einem Pariser Vorort. Als Sechsjährige las sie begeistert in Jules Vernes Reiseberichten, als Jugendliche legte sie die Vorstellungen ihrer streng katholischen Mutter ab und machte sich mit dem Denken Bakunins u.a. Anarchisten vertraut. Mit 17 riss Alexandra von zu Hause aus, fuhr in die Schweiz und wanderte über den Gotthardpass.
Ihre erste große Reise. Viele weitere folgten.
Als Alexandra 1891 Geld erbte, bereiste sie eineinhalb Jahre lang Ceylon und Indien, wurde Theosophin, lernte asiatische Sprachen wie Sanskrit und Chinesisch. Bereits 1889 war die dann Volljährige zum Buddhismus konvertiert. 1895 ging die ausgebildete Sopranistin nach Indochina, anschließend als Theaterleiterin nach Tunis. Dort lernte sie den Ingenieur und Lebemann Philippe Néel kennen und heiratete ihn 1904. Philippe finanzierte fortan ihre Reisen und sorgte für die Veröffentlichung ihrer zahlreichen Reiseberichte in Frankreich. Die beiden führten eine sehr ungewöhnliche Ehe (dazu hörenswert dieser Radio-Kurzbeitrag).
1911 trat Alexandra eine weitere Asienreise an, die statt der geplanten 18 Monate 14 Jahre dauerte. In Indien lernte sie den 13. Dalai Lama kennen und wurde von ihm nach Tibet eingeladen. Sie lebte ein Jahr lang im Himalaya als Einsiedlerin und wurde als weiblicher Lama der Einweihung in die Geheimlehren des tibetischen Buddhismus für würdig befunden.
Anschließend reiste sie durch Japan, Korea und China, immer in Begleitung ihres Adoptivsohnes, des jungen Lamas Yongden. Danach hielt sie sich zwei Jahre im tibetischen Kloster Kum-bum auf. Alexandra übersetzte buddhistische Texte und verfasste ein Französisch-Tibetisch-Wörterbuch. Zwischen 1921 und 1923 durchstreifte die damals schon über 50-Jährige die Wüste Gobi. In ihrem 57. Lebensjahr erreichte sie nach einer viermonatigen abenteuerlichen Himalaya-Überquerung zu Fuß von China her kommend dieses Ziel als bettelnde Pilgerin in Begleitung von Yongden. Bei dieser Reise musste sich die nur 1,56 Meter große Abenteurerin mit Ruß und Schmutz tarnen, um nicht als Ausländerin erkannt und des Landes verwiesen zu werden.
1925 kehrte Alexandra nach Frankreich zurück und veröffentlichte 1927 ihr erfolgreichstes Buch “Voyage d’une Parisienne à Lhassa”, durch das sie weltberühmt wurde. 1937 brach sie als fast Siebzigjährige erneut zu einer großen Asienreise auf, geriet in den Japanisch-Chinesischen Krieg und musste sechs Jahre in China ausharren. Sie starb am 8. September 1969 im Alter von 100 Jahren – nachdem sie vorsorglich ihren Pass hatte verlängern lassen.

“Elefantenfelsen” bei Guilin in Südchina

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