Adventmail 2024/13 (Farben)

Vor der wunderschönen Alten Handelsbörse in Leipzig steht eine überlebensgroße Bronzestatue (s. Foto) des jungen Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832), der in der damals blühenden Handelsstadt ab 1765 fast drei Jahre lang Rechtswissenschaft studierte. Unser Führer, der meine Claudia und mich im Sommer durch die Stadt geleitete, meinte, der damalige Teenager habe sich aber mehr der Dichtkunst und den Frauen gewidmet. Später interessierte er sich auch für das Thema Farbe brennend – spätestens ab 1777, als er am Brocken (auch Blocksberg genannter höchste Erhebung im Harz) farbige Schatten in der Abendsonne auf Schnee wahrnahm.
„…die Sonne senkte sich eben gegen die Oderteiche hinunter. Waren den Tag über, bei dem gelblichen Ton des Schnees, schon leise violette Schatten bemerklich gewesen, so musste man sie nun für hochblau ansprechen, als ein gesteigertes Gelb von den beleuchteten Teilen widerschien“, schrieb er darüber. „Als aber die Sonne sich endlich ihrem Niedergang näherte und ihr … Strahl die ganze, mich umgebende Welt mit der schönsten Purpurfarbe überzog, da verwandelte sich die Schattenfarbe in ein Grün … Die Erscheinung ward immer lebhafter, man glaubte sich in einer Feenwelt zu befinden, denn alles hatte sich in die zwei lebhaften und so schön übereinstimmenden Farben gekleidet, bis endlich mit dem Sonnenuntergang die Prachterscheinung sich in eine graue Dämmerung und nach und nach in eine mond- und sternhelle Nacht verlor.“

Statue des jungen Goethe in Leipzig

Farbe, nicht nur dichterisch umschwärmte, auch wissenschaftlich erforschte, beschäftigte Goethe sein Leben lang. In seinem 1810 erschienenen dreiteiligen Werk „Zur Farbenlehre“ – der Dichter war damals längst eine europaweit anerkannte literarische Größe – bündelte er seine während vieler Jahre gemachten Überlegungen, Literaturstudien und Versuche über das Wesen der Farbe. Goethe wollte das Phänomen Farbe nicht einseitig physikalisch oder lediglich von einem ästhetischen oder praxisbezogenen Standpunkt aus beurteilen und erklären, sondern in seiner Gesamtheit erfassen und beschreiben. Und erstaunlich: Er selbst schätzte die Ergebnisse seiner Forschungen zur Farbe höher ein als sein gesamtes literarisches Schaffen.
Aus heutiger Sicht wird Goethes Farbenlehre in der Naturwissenschaft als veraltet und ungenau angesehen. Die Physik widerlegte Goethes Auffassung, dass Farben nicht – wie von Newton schon 1671 experimentell bewiesen – auf Lichtbrechung, sondern auf Wechselwirkungen von Licht und Dunkelheit basieren. Einflussreich etwa für die Farbpsychologie blieben am ehesten seine Untersuchungen zur Farbwirkung, wie etwa die emotionale und psychologische Reaktion auf Farben (z. B. Blau als beruhigend oder Rot als stimulierend).
Es sei somit dahingestellt, ob man die Farbenlehre des damals schon 60-Jährigen als schrullige Abirrung sehen will, die ihn von seiner eigentlichen Kompetenz ablenkte. In den 22 Jahren nach diesem Werk erschien von Goethe literarisch nur mehr wenig Maßgebliches, am ehesten noch die Autobiographie „Dichtung und Wahrheit“ und die Gedichtsammlung „West-östlicher Divan“. Posthum erschien der mühsam zu lesende zweite Teil des „Faust“.

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